Árpád Spitz 1919 - 1942 Bearbeiten
Geboren 27.10.1919 in Cărășeu
Gestorben 28.7.1942 in Mauthausen
Biografie
Ein Foto zeigt zwei erschossene Männer, sie sind anhand ihrer gestreiften Kleidung als KZ-Häftlinge zu erkennen. Die beiden Toten liegen in der Nähe eines Stacheldrahtverhaues auf einer Wiese. Auf der Abbildung lässt sich die Häftlingsnummer des im Vordergrund liegenden Toten erkennen: 11552. Durch Abgleich mit dem Register der „unnatürlichen Todesfälle“ im Lager ist nachweisbar, dass es sich dabei um Jacques Günzig (geboren am 2. November 1904 in Loštice, Mähren), bei dem anderen Erschossenen vermutlich um Árpád Spitz (geboren am 27. Oktober 1919 in Cărășeu, Rumänien) handelt. Beide wurden im KZ Mauthausen als Juden registriert und Block 13 zugeteilt. Laut Aufzeichnungen der Lager-SS wurden Jacques Günzig und Árpád Spitz am 28. Juli 1942 um 08:30 Uhr bei einem „Fluchtversucht“ erschossen. Die Fotografie wurde von einem Mitarbeiter des sogenannten Erkennungsdiensts aufgenommen.[1]
Erkennungsdienste sind Einrichtungen der Polizei, in denen die anthropometrischen Daten von Personen erfasst und Fotografien, frontal und im Profil, erstellt werden. Die Funktionen dieser Datenerhebung sind die individuelle Identifikation von Menschen, aber auch die Kategorisierung und Typisierung von vermeintlichen oder tatsächlichen Kriminellen.[2] In nationalsozialistischen Konzentrationslagern gab es ebenfalls Einrichtungen, die als Erkennungsdienste bezeichnet wurden. Ihre Aufgabe war es, die Deportierten erkennungsdienstlich zu erfassen und individuelle Porträtaufnahmen nach der Ankunft im Lager zu entwickeln. Zusätzlich erstellten die SS-Fotografen des Erkennungsdienstes Repräsentationsbilder des Konzentrationslagers, Fotodokumentationen von Arbeitsplätzen im Lager und Häftlingen bei der Zwangsarbeit, Bilder der „lagerinternen Ordnung“ wie Appelle, typologische Aufnahmen besonders negativ stigmatisierter Deportierter sowie Bildserien von Besuchen offizieller Delegationen im Lager.[3] Außerdem dokumentierte der Erkennungsdienst sogenannte „unnatürliche Todesfälle“. Diese Tarnbezeichnung beschreibt Morde an Häftlingen durch SS-Wachen und vermeintliche oder tatsächliche Suizide und Unfälle. Fälle von „auf der Flucht Erschossenen“ wurden ebenfalls unter dieser Kategorie zusammengefasst.[4] Tatsächlich handelte es sich dabei aber zumeist ebenfalls um Morde durch SS-Angehörige, die durch die Bürokratie des Konzentrationslagers legalisiert werden sollten.
Der Mauthausen-Überlebende Gerhard Kanthack, der als Häftling in der sogenannten Politischen Abteilung des Lagers arbeiten musste, beschrieb in einem Bericht über seine Zeit in Mauthausen die Bearbeitung von „Erschießungen auf der Flucht“: Laut schriftlicher Dokumentation der Lagerverwaltung wurde jeweils der Tatort untersucht, die Leichen obduziert und die Schützen vernommen. Die dabei entstandenen Protokolle wurden an das SS- und Polizeigericht in Wien weitergeleitet. Diesen Akten wurden u.a. auch Fotografien der Toten beigelegt.[5] Zahlreiche Nachkriegsaussagen von Überlebenden und ehemaligen SS-Männern belegen, dass es sich bei diesen angeblichen Fluchtversuchen tatsächlich um Morde handelte. Die Bilder der Tatorte sollten den Eindruck erwecken, dass die Wachen nach der Lagerordnung gehandelt hätten, nach der Fluchtversuche zu verhindern waren. Die Fotos waren also Fälschungen der tatsächlichen Todesumstände. Sie zeigten bewusst nicht, wie die Häftlinge zu Tode kamen, sondern erfüllten einen konkreten Zweck für die Lager-SS. Der SS-Fotograf Paul Ricken soll in diesem Sinne auch die Lage der Toten verändert haben.[6]
Das Foto von Jacques Günzig und Árpád Spitz ist also eine sehr problematische Quelle. Sie dokumentiert zwar den Tod der beiden Deportierten, die Geschichte ihrer Ermordung lässt sich daraus aber nicht ablesen. Das Bild darf nicht als Beweis eines Fluchtversuches interpretiert werden, da die SS-Fotografen des Erkennungsdienstes die Morde der Wachmannschaften gezielt vertuschten bzw. legalisierten. Die Aufnahme ermöglicht heute aber – entgegen der Intention der Täter – die individuelle Identifikation der beiden Ermordeten und somit auch die Recherche der Geschichte von Jacques Günzig und Árpád Spitz im Konzentrationslager Mauthausen.
Lukas Meissel
Verein GEDENKDIENST
Lukas Meissel, geb. 1988, leistete 2006/2007 Gedenkdienst in Yad Vashem. Masterstudium Zeitgeschichte an der Universität Wien, Mitarbeiter des Archivs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, „Mauthausen-Guide“ und in diversen zeitgeschichtlichen Projekten aktiv. Seit 2007 in verschiedenen Funktionen im Verein GEDENKDIENST tätig.
[1] Vgl. Bundesministerium für Inneres (Hg.): das sichtbare unfassbare. Fotografien vom Konzentrationslager Mauthausen. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung (Wien 2005), S. 101; Benito Bermejo: Francisco Boix, der Fotograf von Mauthausen (Wien 2007), S. 76f.
[2] Vgl. Jens Jäger: Erkennungsdienstliche Behandlung: Zur Inszenierung polizeilicher Identifikationsmethoden um 1900. In: Jürgen Martschukat/Steffen Patzold (Hg.): Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit (Köln/Weimar/Wien 2003), S. 209f..
[3] Vgl. Habbo Knoch: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur (Hamburg 2001), S. 92.
[4] Zu „Erschießungen auf der Flucht“ im KZ Mauthausen siehe: Jutta Fuchshuber: „Auf der Flucht erschossen“? Tötungen im KZ-Komplex Mauthausen. In: Studienvertretung/Institutsgruppe Geschichte (Hg.): Innenansichten, Jahrgang 1/1 (Wien 2012), S. 9–26; Gregor Holzinger: „… da mordqualifizierende Umstände nicht hinreichend sicher nachgewiesen werden können…“. Die juristische Verfolgung von Angehörigen der SS-Wachmannschaft des Konzentrationslagers Mauthausen wegen „Erschießungen auf der Flucht“. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Täter. Österreichische Akteure im Nationalsozialismus. Jahrbuch 2014 (Wien 2014), S. 135–163.
[5] Vgl. Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, V/03/20, Bericht des ehem. Kriminalkommissars und Überlebenden des KZ Mauthausen Gerhard Kanthack, S. 84.
[6] Siehe etwa Aussagen von Überlebenden im Nachkriegsprozess gegen Paul Ricken: National Archives and Records Administration (NARA), RG 549, U.S. Army Europe, Cases tried, Case 000-50-5-14 (Mauthausen), U.S. vs. Eduard Dlouhy et al., Box 381 1/2, S. 25032, 25218, Kopien im AMM.
A photo shows two men who have been shot, their striped clothing identifying them as concentration camp prisoners. The two dead men are lying near to a barbed wire fence on a meadow. In the picture, the prisoner number of the man lying in the foreground can be read: 11552. A comparison with the register of ‘unnatural deaths’ in the camp shows that this was Jacques Günzig (born on 2 November 1904 in Loštice, Moravia), and that the other man who has been shot was probably Árpád Spitz (born on 27 October 1919 in Cărășeu, Romania). Both were registered in the Mauthausen concentration camp as Jews and were assigned to Block 13. According to records kept by the camp SS, Jacques Günzig and Árpád Spitz were shot on 28 July 1942 at 8.30am during an ‘escape attempt’. The photo was taken by someone on the staff of the so-called Identification Service.[1]
Identification services are police departments which collect people’s anthropometric data and take photographs of them front on and in profile. This data collection serves to identify individuals but also to categorise and typecast alleged or actual criminals.[2] The National Socialist concentration camps likewise had departments described as Identification Services. It was their task to create identification records about the deportees and take individual portrait photos on their arrival at the camp. Furthermore, the SS photographers working in the Identification Service produced official photos of the concentration camp, created photo documentations of work sites in the camp and of prisoners carrying out forced labour, depicted instances of ‘internal camp order’ such as roll calls, took typological photos of especially negatively stigmatised inmates, and created photo series recording visits by official delegations to the camp.[3] In addition, the Identification Service documented so-called ‘unnatural deaths’. This euphemism was used to describe the murder of prisoners by SS guards and alleged or actual suicides and accidents. Cases of inmates ‘shot while attempting to escape’ were also included in this category.[4] Most of these cases were in fact also murders committed by members of the SS, which the concentration camp’s bureaucracy would then legalise.
The Mauthausen survivor Gerhard Kanthack, who had to work as a prisoner in what was known as the Political Section of the camp, described in a report about his time in Mauthausen how ‘shootings on the run’ were processed: according to the written documentation produced by the camp administration, in each case the crime scene was examined, an autopsy was performed on the corpse, and the shooters were questioned. The reports on this were then sent to the SS and Police Court in Vienna. Sometimes these files contained photographs of the dead.[5] Numerous postwar testimonies given by survivors and former SS men verify that these alleged escape attempts were in fact murder. The photos of the crime scenes were intended to give the impression that the guards had acted in accordance with the camp regulations, which stated that escape attempts were to be prevented. The photos therefore falsified the actual circumstances of death. They deliberately failed to show how the prisoners died, instead fulfilling a specific purpose for the camp SS. The SS photographer Paul Ricken is also thought to have altered the position of the dead for this purpose.[6]
The photo of Jacques Günzig and Árpád Pitz is therefore a very problematic source. While it documents the deaths of the two deportees, the history of their murder cannot be read from it. The picture must not be interpreted as proof of an escape attempt, since the SS photographers working in the Identification Service deliberately covered up and legalised murders committed by the guards. Today, however, contrary to the intentions of the perpetrators, the photo does enable the identification of the two murdered men and therefore also research on the history of Jacques Grünzig and Árpád Spitz in the Mauthausen concentration camp.
Lukas Meissel
Verein GEDENKDIENST
Translation into English: Joanna White
[1] Cf. Federal Ministry of the Interior (ed.): The Visible Part. Photographs of Mauthausen Concentration Camp. Catalogue to accompany the exhibition of the same name. (Vienna 2005), p. 101; Benito Bermejo: Francisco Boix, der Fotograf von Mauthausen [Francisco Boix, the photographer of Mauthausen] (Vienna 2007), p. 76f.
[2] Cf. Jens Jäger: Erkennungsdienstliche Behandlung: Zur Inszenierung polizeilicher Identifikationsmethoden um 1900 [Identification procedures. On the staging of police identification methods around 1900]. In: Jürgen Martschukat / Steffen Patzold (ed.): Geschichtswissenschaft und “performative turn”. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit [Historiography and the ’performative turn’. Ritual, staging and performance from the Middle Ages to the Modern Era] (Cologne/Weimar/Vienna 2003), p. 209f.
[3] Cf. Habbo Knoch: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur [The Deed as Image. Photographs of the Holocaust in German memorial culture] (Hamburg 2001), p. 92.
[4] On ‘shootings on the run’ at the Mauthausen concentration camp, see: Jutta Fuchshuber: “Auf der Flucht erschossen”? Tötungen im KZ-Komplex Mauthausen [’Shot on the run’? Killings at the Mauthausen concentration camp complex]. In: Studienvertretung/Institutsgruppe Geschichte (ed.): Innenansichten, volume 1/1 (Vienna 2012), pp. 9–26; Gregor Holzinger: “… da mordqualifizierende Umstände nicht hinreichend sicher nachgewiesen werden können…”. Die juristische Verfolgung von Angehörigen der SS-Wachmannschaft des Konzentrationslagers Mauthausen wegen “Erschießungen auf der Flucht” [’… since circumstances qualifying as murder could not be proven beyond doubt…’. The legal prosecution of members of the SS guard units of the Mauthausen concentration camp for ’shootings on the run’]. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (ed.): Täter. Österreichische Akteure im Nationalsozialismus [Perpetrators. Austrian involvement in National Socialism]. Jahrbuch 2014 (Vienna 2014), pp. 135–163.
[5] Cf. Bericht des ehem. Kriminalkommissars und Überlebenden des KZ Mauthausen Gerhard Kanthack [Report by the former police inspector and survivor of Mauthausen concentration camp Gerhard Kanthack], Archive of the Mauthausen Memorial (AMM) V/03/20, p. 84.
[6] For example, see the testimony given by survivors in the postwar trial of Paul Ricken: National Archives and Records Administration (NARA), RG 549, US Army Europe, Cases tried, Case 000-50-5-14 (Mauthausen), US vs. Eduard Dlouhy et al., Box 381 1/2, S. 25032, 25218.
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