Marcell Klang 1876 - 1942 Edit
Born 31.5.1876 in Wien
Died 25.6.1942 in Mauthausen
Biography
Marcell Klang war der Verfasser eines in jeder Hinsicht gewichtigen Werkes, mit 1126 Seiten und einem heute beachtlichen antiquarischen Verkaufspreis von 100 bis 250 Euro. Das Hauptgewicht dieses Werkes liegt jedoch darin, dass es ein ohne Nachfolge gebliebenes Nachschlagewerk ist. Marcell Klang unternahm 1936 den Versuch, Die geistige Elite Österreichs in einem Personenlexikon abzubilden. Das Werk erschien in einer erstaunlich modern wirkenden Ausgabe im Wiener Verlag C. Barth. Es wurde nicht die von den Nationalsozialisten ab 1933 als „deutsche Schrift“ propagierte Fraktur für das Buch verwendet, sondern die Antiqua. 1941 beendeten die Nationalsozialisten die Verwendung der Fraktur als Schrift des Nationalsozialismus und machten die Antiqua zu ihrer Schrift, die „Deutsch zur Weltsprache“ machen sollte. Die der Fraktur ähnlichen Lettern der „Schwabacher“ (Gotische Schrift) wurden bei der Schriftumstellung 1941 von den Nationalsozialisten als „Judenlettern“ klassifiziert, deren „Verwendung zu unterbleiben“ hatte.
Marcell Klang setzte denjenigen, die ihm inklusive der Veröffentlichung ihrer Adressen und Telefonnummern die Erlaubnis dazu gaben, in verblüffend variantenreichen, detailgetreuen Belobigungen Denkmäler, Politikern ebenso wie Beamten, Wirtschaftstreibenden oder Künstlern. Nicht zu übersehen ist, dass nur die politischen Repräsentanten des Ständestaates (die christlich-soziale Einparteiendiktatur von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß seit dem 4. März 1933, der am 25. Juli 1934 im Bundeskanzleramt ermordet wurde, und dem vom 29. Juli 1934 bis 11. März 1938 Kurt Schuschnigg als Kanzler nachfolgte) und nicht auch die der (verfolgten und verbotenen) Opposition in ihm enthalten sind. Welche Künstler aus welchen Gründen in ihm keine Aufnahme gefunden haben, ob sie nicht aufgenommen werden wollten oder von Klang nicht zur Aufnahme eingeladen waren, lässt sich anhand der dennoch vielfältigen Auswahl nur schwer einschätzen. Marcell Klang bezeichnet in seinem Vorwort die Zusammenstellung in dieser Ausgabe nur als einen ersten Schritt. Es fehlen auf jeden Fall zum Teil auch im Ständestaat geschätzte Autorinnen und Autoren wie Karl Kraus (gestorben 1936), Elias Canetti (Emigration in die Schweiz 1938), Hans Weigel (Emigration in die Schweiz 1938), Peter Hammerschlag (verschollen am Transport von Theresienstadt nach Auschwitz 1942), Jura Soyfer (an Typhus gestorben im KZ Buchenwald 1939), Stefan Zweig (Emigration nach London 1934), Joseph Roth (Emigration nach Paris 1933), Friedrich Torberg (Emigration in die Schweiz 1938), Hermann Broch (Emigration in die USA 1938), Leo Perutz (Emigration nach Israel 1938), Alfred Polgar (Emigration nach Paris 1938), Gina Kaus (Emigration nach Frankreich 1938), Franz Werfel (Emigration nach Frankreich 1938), Bertold Viertel (Emigration nach Frankreich 1938), Theodor Kramer (Emigration nach London 1939), Ödön von Horvath (Emigration nach Paris 1938), Hermynia zur Mühlen (Emigration nach England 1939). Viele von ihnen lebten zu dieser Zeit aber auch hauptsächlich außerhalb Österreichs oder waren Donaumonarchie-Österreicher.
Unter den bis heute bekannten Künstlerinnen und Künstlern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Autorinnen und Autoren finden sich im Lexikon u.a.: der Volkstheaterdirektor Rudolf Beer (Selbstmord, Mai 1938), der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud (Emigration nach London 1938 gegen Entrichtung der „Reichsfluchtsteuer“), der Autor Egon Friedell (Selbstmord, März 1938), der Kabarettist Fritz Grünbaum (Tod in Dachau 1941), der Architekt Clemens Holzmeister (Emigration nach Istanbul 1938), die Autorin Alma Johanna Koenig (ermordet im Vernichtungslager Maly Trostinec 1942), der Komponist und Oscar-Preisträger Erich Wolfgang Korngold (Emigration in die USA 1938), der Autor Jeremias Kreutz (Publikationsverbot ab 1933 in Deutschland und von 1938 bis 1945 auch in Österreich, mehrmonatige Haft 1944), der Autor Robert Musil (Emigration in die Schweiz 1938) und der Bildhauer Fritz Wotruba (Emigration in die Schweiz 1939).
Insgesamt enthält diese erste Ausgabe, bei der es geblieben ist und in der die handelnden Personen in den Jahren nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland und der Errichtung des Ständestaates in Österreich widergespiegelt werden, 1.000 Würdigungen und Porträts und kein Inhaltsverzeichnis derer, die in diesem Band zu finden sind. Er selbst hat sich auf keinen Sockel gestellt und sich kein Denkmal gesetzt. Zum Herausgeber Marcell Klang gibt es in diesem Buch keine Angaben. Sein Name taucht vorher wie nachher nur ein einziges weiteres Mal in öffentlichen Zusammenhängen und allgemeinen Nachschlagquellen auf, im Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek, als Herausgeber der Wiener Wochenschrift „Die Sonne“ von 1916 bis 1918.
Marcell Klang kam am 31. Mai 1876 in Wien zur Welt. Er wurde 66 Jahre alt, am 25. Juni 1942, kurz nach seiner Einlieferung in das Konzentrationslager Mauthausen um 8.00 Uhr früh „auf der Flucht erschossen“, wie eines der schriftlich festgehaltenen Stereotype für die Ermordungen von Häftlingen in Konzentrationslagern hieß. Konkreter Grund für seine Verhaftung am 10. Februar 1942 durch die Gestapo war seine „unbefugte Sammeltätigkeit“ bzw. seine „Forderung von Unterstützungsgeldern“: „Der Jude Marcell Israel Klang [wurde] festgenommen, da er seit dem Jahre 1941 von Ariern Unterstützungsgelder gefordert hat. Er hat bisher von ungefähr 50 Personen, darunter 14 Parteimitgliedern, teils laufend monatlich RM 5,- bis 10,- erhalten. [Zum Vergleich: 10 RM monatlich musste z. B. die Familie von Gerhard Bronner 1938 für die Haft des Familienvaters und eines Sohnes in Dachau Gebühr bezahlen[1] – G.R.] Bei seinen Vorsprachen [bei den Spendern] hat er wiederholt die vom Staat ergriffenen Maßnahmen zur Lösung der Judenfrage [die von den Nazis ab 1941 angeordnete Zwangskennzeichnung der jüdischen Bevölkerung mit dem ‚Judenstern‘ und die ausgerufene ‚Endlösung‘ – G.R.] kritisiert und auch sonst seine ablehnende Haltung gegen den NS-Staat zu erkennen gegeben.“
Kein solches Denkmal, wie es Marcell Klang für mehr als 1000 andere von ihm Porträtierte in seinem Handbuch der Führenden in Kultur und Wirtschaft errichtet hat, aber wenigstens einen ständigen Platz für sein Lexikon hat er in der Bibliothek des Wiener Literaturhauses gefunden, mit dem folgenden Kommentar des Wiener Antiquariats, von dem es angeboten und bei dem es 2005, rund 70 Jahre nach seinem Erscheinen, erworben wurde: „Vorzugsausgabe; Seltenes, umfangreiches und ziemlich interessantes Personenlexikon“, und, wie zu ergänzen wäre, das nur durch einen geduldigen, gewaltigen und konsequenten Einsatz seines Verfassers über viele Jahre hinweg zustande kommen konnte.
Der C. Barth Verlag, in dem das Buch 1936 erschienen war, wurde, da er in „jüdischem“ Besitz war, 1938 „arisiert“. Der Verlagseigentümer Béla Hess konnte nach dem erzwungenen Verkauf des Verlags und seiner Druckerei nach England ausreisen.
Eines der Porträts in seinem Lexikon hat Marcell Klang seinem um ein Jahr älteren Bruder, dem österreichischen Rechtswissenschaftler Heinrich Klang gewidmet, dem er ebenfalls einen Denkstein setzen wollte, sowie dessen in acht Arbeitsjahren von 1927 bis 1935 fertiggestellten Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch in sechs Bänden. Heinrich Klang überlebte Theresienstadt, wo ihn die Nationalsozialisten vom 25. September 1942 bis zum 8. Mai 1945 als Richter zur Regelung von Verlassenschaften und Vormundschaften am Ghettogericht einsetzten. Sofort nach Kriegsende wurde er von den Alliierten wieder als Richter am Obersten Gerichtshof eingesetzt. Selbst die Arbeiter Zeitung verneigte sich anlässlich seines Todes am 22. Februar 1954 vor ihm, als „sozusagen letztem Liberalen in der Rechtswissenschaft“, obwohl er „kein Sozialist, sondern eher ein Gegner sozialistischer Auffassungen war“.
Gerhard Ruiss
Gerhard Ruiss, geb. 1951 in Ziersdorf (Niederöstereich), Autor, Musiker, Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren. Bücher, u. a.: Nachdichtungen der Lieder Oswalds von Wolkenstein in drei Bänden (Bozen/Wien 2011), und Paradiese – Schöne Gedichte (Horn 2013). Stücke, u. a.: Das 100. Jahr (Uraufführung Feldkirch 2014).
[1] Zum weiteren Vergleich: „Am zweiten [Weihnachts-] Feiertag [1939] können wir in der Kantine eine verschimmelte Sülze kaufen, die der SS nicht mehr gut genug ist. Für ein Kilo bezahle ich zwölf Mark [...] Zum Glück hat mir meine Mutter einen kleineren Geldbetrag geschickt [...]“ (Erwin Gostner, Angehöriger der (österreichischen) Vaterländischen Front und KZ-Häftling in Mauthausen und Gusen von 1939 bis 1941 in seiner Eigenverlagspublikation 1000 Tage im KZ, gedruckt in der Wagnerschen Univ.-Buchdruckerei in Innsbruck 1945).
Marcell Klang was the editor of a work that is weighty in every respect, with 1,126 pages and a second-hand price tag today of the not inconsiderable sum of 100 to 250 euros. However, the main weight of the work lies in the fact that it remains a reference volume without successor. In 1936 Marcell Klang undertook the attempt to present The Intellectual Elite of Austria in a biographical dictionary. The work was published in an incredibly modern-looking edition by the Viennese publisher C. Barth. The book did not use a blackletter typeface, or Fraktur, propagated by the National Socialists since 1933 as the ‘German font’, but an Antiqua typeface. In 1941 the National Socialists ceased to use Fraktur as the font of National Socialism and made Antiqua the typeface that was to make ‘German a world language’. The characters of ‘Schwabacher’ (Gothic script), whose letters were similar to Fraktur, were classified by the National Socialists in their writing reform of 1941 as ‘Jew letters’ whose ‘use was to be discontinued’.
Marcell Klang paid tribute to those who had given him permission to do so – including the publication of their addresses and telephone numbers – through strikingly varied and detailed commendations: politicians and civil servants, businessmen and artists alike. It should be noted that it only contains political representatives of the Ständestaat (the Christian-Social one-party dictatorship under Federal Chancellor Engelbert Dollfuß from 4 March 1933, who was murdered on 25 July 1925 in his offices, and who was succeeded as Chancellor from 29 July 1934 to 11 March 1938 by Kurt Schuschnigg) and not those of the (persecuted and banned) opposition. Which artists were not included for what reasons – whether they did not want to be included or were not asked by Klang – is difficult to determine on the basis of the nevertheless varied selection. In his foreword, Marcell Klang describes the selection in this edition as merely the first step. In any case, it is missing authors, some respected in the Ständestaat, such as Karl Kraus (died in 1936), Elias Canetti (emigration to Switzerland in 1938), Hans Weigel (emigration to Switzerland in 1938), Peter Hammerschlag (disappeared on a transport between Theresienstadt and Auschwitz in 1942), Jura Soyfer (died of typhus in Buchenwald concentration camp in 1939), Stefan Zweig (emigration to London in 1934), Joseph Roth (emigration to Paris in 1933), Friedrich Torberg (emigration to Switzerland in 1938), Hermann Broch (emigration to the USA in 1938), Leo Perutz (emigration to Israel in 1938), Alfred Polgar (emigration to Paris in 1938), Gina Kaus (emigration to France in 1938), Franz Werfel (emigration to France in 1938), Bertold Viertel (emigration to France in 1938), Theodor Kramer (emigration to London in 1939), Ödön von Horvath (emigration to Paris in 1938), Hermynia zur Mühlen (emigration to England in 1939). However, at this time many of them were not living in Austria or were Austrians born in the Habsburg Monarchy.
Among the artists, scientists and authors included in the lexicon and still known today are: Rudolf Beer, director of the Volkstheater (suicide in May 1938), Sigmund Freud, founder of psychoanalysis (emigration to London in 1938 after paying the exit tax known as the Reichsfluchtsteuer), the author Egon Friedell (suicide in March 1938), the comedian Fritz Grünbaum (died in Dachau in 1941), the architect Clemens Holzmeister (emigration to Istanbul in 1938), the author Alma Johanna Koenig (murdered in the Maly Trostinec extermination camp in 1942), the composer and Oscar-winner Erich Wolfgang Korngold (emigration to the USA in 1938), the author Jeremias Kreutz (banned from publishing in Germany in 1933 and in Austria in 1938, several months’ imprisonment in 1944), the author Robert Musil (emigration to Switzerland in 1938) and the sculptor Fritz Wotruba (emigration to Switzerland in 1939).
This first edition, which is all there ever was and which portrays the leading figures in the years following the seizure of power in Germany by the National Socialists and the establishment of the Ständestaat in Austria, contains a total of 1,000 tributes and portraits and no index of those to be found in the volume. Klang did not put himself in the spotlight and did not write his own tribute. There is no information to be found in the book on its editor Marcell Klang. His name appears just once in public and general reference sources, namely in the catalogue of the Austrian National Library as the editor of the Viennese weekly paper Die Sonne between 1916 and 1918.
Marcell Klang was born on 31 May 1876 in Vienna. At the age of 66, on 25 June 1942, shortly after his arrival at the Mauthausen concentration camp, he was ‘shot on the run’ at 8am, as one of the stock reasons recorded for the murder of prisoners in concentration camps stated. The reason given for his arrest on 10 February 1942 by the Gestapo was his ‘unauthorised collecting activity’ and his ‘demand for financial assistance’: ‘The Jew Marcell Israel Klang [was] arrested because he had been demanding financial assistance from Aryans since 1941. To date he has received RM 5 to 10 from around 50 people, including 14 Party members, sometimes monthly. [By way of comparison: 10 RM a month had to be paid in fees for prisoners in Dachau e.g. by the family of Gerhard Bronner in 1938 for the imprisonment of the family father and a son[1] – G.R.] During his audiences [with the donors] he repeatedly criticised the measures taken by the state to solve the Jewish question [the forced marking of the Jewish population with the ‘yellow star’ ordered by the Nazis in 1941 and the ‘final solution’ being called for– G.R.] while also generally displaying his hostile attitude towards the National Socialist state.’
No such memorial for Marcell Klang exists as that erected by him for over 1,000 others given a portrait by him in his Handbuch der Führenden in Kultur und Wirtschaft (Handbook of the Leaders of Culture and Business), but at least he has found a permanent place for his lexicon in the library of the Vienna Literaturhaus. The following remark is from a Viennese antiques dealer, who offered it for sale and from whom, in 2005, around 70 years after publication, it was purchased:
‘Excellent edition; rare, comprehensive and quite interesting biographical dictionary’, and which, it should be added, could only come about through the patient, immense and systematic efforts of its author over many years.
The publishing house C. Barth, who published the book in 1936, was ‘Aryanised’ in 1938 since it was in ‘Jewish’ ownership. The owner, Béla Hess, was able to emigrate to England following the forced sale of his publishing house and printing press.
Marcell Klang dedicated one of the portraits in the lexicon to his brother, the Austrian legal scholar Heinrich Klang, who was one year his senior. He sought to pay tribute to him, as well as to his six-volume Commentary on the General Civil Code, completed over eight years of work between 1927 and 1935. Heinrich Klang survived Theresienstadt, where the National Socialists used him as a judge to settle inheritance and guardianship matters in the ghetto court from 25 September 1942 to 8 May 1945. Immediately after the end of the war he was appointed a High Court judge by the Allies. Even the (left-wing) Arbeiter Zeitung newspaper honoured him on the occasion of his death on 22 February 1954 as ‘the last liberal in the law so to speak’, although he was ‘no Socialist, but rather an opponent of socialist attitudes’.
Gerhard Ruiss
Translation into English: Joanna White
[1] Another comparison: ‘On the second [Christmas] bank holiday [in 1939] we were able buy some mouldy jellied meat in the canteen that wasn’t good enough for the SS any more. For one kilo I paid twelve marks […] Luckily my mother had sent me a small sum of money […]’. (Erwin Gostner, member of the [Austrian] Fatherland Front and prisoner at Mauthausen and Gusen concentration camps from 1939 to 1941, in his self-published work 1000 Tage im KZ, printed in 1945 by the Wagnerschen Univ.-Buchdruckerei in Innsbruck).
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