Born 7.7.1882 in Wien Died 16.12.1942 in Mauthausen
Biography
Das Wenige, das ich von meinem Großonkel weiß, habe ich zu Hause aufgeschnappt und, vor ein paar Jahren, durch Unterlagen im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes erfahren. Dort befinden sich auch zwei oder drei Briefe, die das Ehepaar Ludwig und Amalie Ferneböck wechseln durfte, im Spätherbst 1942, nachdem Ludwig von Gestapobeamten verhaftet und in das Landgericht Wien eingeliefert worden war. Die Briefe hatte meine Großtante Amalie, geborene Pölzer, dem Archiv überlassen. Sie besuchte uns regelmäßig in unserem Haus in Sittendorf und erzählte gern von ihrem Leben an Ludwigs Seite, es hätte also nicht an Gelegenheiten gemangelt, sie nach den genauen Umständen seiner Festnahme zu befragen. Aber davor schreckte ich zurück; ich wusste von ihrer innigen Liebe und wollte Tante Maltschi, wie wir sie nannten, nicht verletzen.
Die beiden waren in Alter und Herkunft sehr verschieden. Ludwig Ferneböck, Jahrgang 1882, stammte aus einer wohlhabenden Familie – sein Vater war Schuhfabrikant gewesen – und hatte eine wesentlich jüngere Schwester namens Hansi, die er gern verwöhnte. Er galt als lebenslustig, sah gut aus und legte großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Nach dem Besuch eines humanistischen Gymnasiums absolvierte er das Studium der Rechtswissenschaften und arbeitete nach der Promotion in einer Bank, vermutlich der Länderbank. Als deren Vertreter war er von 1925 bis 1936 Kollektivprokurist und Vorstandsmitglied der Schokoladenfabrik Küfferle. Möglich, dass er vor seiner Bankenkarriere im höheren Staatsdienst tätig war, das würde erklären, warum er den Titel Ministerialrat führte. Bei der Volksabstimmung 1921 über die Frage, ob das Burgenland bei Ungarn bleiben oder sich Österreich anschließen sollte, war er Abstimmungsleiter im Bezirk Ödenburg/Sopron gewesen. Und er war Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei.
Meine Großtante und er lernten einander Anfang der 1920er-Jahre im Büro des Staatskanzlers Karl Renner kennen. Maltschi war 17 Jahre jünger als er und stammte aus einer legendären sozialdemokratischen Arbeiterfamilie. Ein Gemeindebau in Favoriten ist nach ihrem Vater, dem „Volkstribun“ Johann Pölzer, das Amalienbad nach ihrer Mutter benannt. Sie selbst war, mit kaum 20 Jahren, Renners Sekretärin geworden und in dieser Eigenschaft bei den Friedensverhandlungen in Saint-Germain dabei gewesen. Ludwig und Maltschi heirateten bald nach ihrer ersten Begegnung. Meine Großtante quittierte ihre Stellung und war fortan Hausfrau. Die Ehe blieb kinderlos, vielleicht mit Absicht, denn die beiden gingen gern aus, ins Theater, in die Oper, hatten einen großen und gebildeten Bekanntenkreis und genossen das Leben in vollen Zügen. Von Ludwig hieß es in meiner Familie, er sei charmant und Seitensprüngen nicht abgeneigt gewesen. Auf dem einzigen Foto, das ich von ihm gesehen habe, trägt er eine Fliege. Ein schöner runder Kopf, Glatze, weißer Haarkranz, weder Schnauzer noch Vollbart. Ich schätze, er war zum Zeitpunkt der Aufnahme 50 oder 55 Jahre alt.
Mein Vater erzählte, dass er als Gymnasiast von Onkel Ludwig und Tante Maltschi sonntags öfter zum Essen eingeladen wurde. Der Ablauf war immer derselbe: Nach dem Essen bestand Ludwig darauf, sich mit dem 15- oder 16-jährigen Neffen ins Herrenzimmer zurückzuziehen, um genüsslich eine Zigarre zu rauchen. Die Einwände meiner Großtante, der Bub sei fürs Rauchen noch viel zu jung, fruchteten nicht. Ludwig legte auch großen Wert auf gute Bildung und bezahlte meinem Vater Englischunterricht. Beim Einmarsch der Deutschen Wehrmacht war er schon Pensionist.
Ich habe mich manchmal gefragt, weshalb Ludwig nach der Annexion Österreichs nicht – wie seine Schwester – ins Ausland geflüchtet ist. Nach den Nürnberger Rassengesetzen galt er als Halbjude, und allein schon wegen der vielen jüdischen Bekannten wird er die Gefahr sofort erkannt haben. Vielleicht gab er sich der Illusion hin, ihm persönlich werde nichts geschehen, weil er im Ersten Weltkrieg in der Armee gedient hatte. Oder er glaubte, die Ehe mit einer sogenannten Arierin werde ihn vor Verfolgung schützen. Viereinhalb Jahre lang blieb er auch tatsächlich unbehelligt. Der Grund für seine Verhaftung im Oktober 1942 ist unklar. Ludwig war, als Sozialdemokrat, antifaschistisch gesinnt und hatte seine Überzeugung nie verleugnet. Aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass er im Widerstand tätig gewesen ist. Denkbar, dass er sich abfällig über das Naziregime geäußert hat. Am wahrscheinlichsten erscheint die Vermutung, dass er von einer Nachbarin denunziert wurde, die es auf Ludwigs und Maltschis schöne Wohnung in der Schwindgasse 14, Tür 8, abgesehen hatte. Denn nach seiner Festnahme wurde meiner Großtante mitgeteilt, dass ihr Mann freikommt, wenn sie die Wohnung räumt. Sie ging auf das Ansinnen ein und erhielt eine Wohnung in der Schmelzgasse, in der Leopoldstadt, zugewiesen, die sie mit drei anderen, ausnahmslos Ehefrauen jüdischer Männer, teilen musste. Bei meiner Recherche stellte ich fest, dass diese Wohnung schon zum Zeitpunkt der Verhaftung in einem Schriftstück der Gestapo als Adresse von Ludwig Ferneböck vermerkt war. Bei der Räumung der Wohnung in der Schwindgasse sei, so erinnerte sich meine dabei anwesende Großmutter, eine Nachbarin erschienen, um – wie sie sagte – die Wohnung zu besichtigen. Dabei habe sie sich über lose oder schadhafte Tapeten aufgeregt.
Ludwig starb am 16. Dezember 1942, kaum drei Wochen nach seiner Überstellung aus dem Wiener Landgericht, im Konzentrationslager Mauthausen. An Lungenentzündung, wie die Lagerkommandantur meiner Großtante mitteilte. Der Leichnam sei am 19. Dezember im staatlichen Krematorium eingeäschert worden. Die Urne, die angeblich seine Asche enthielt, wurde im Februar 1943 nach altkatholischem Ritus eingesegnet und am Evangelischen Friedhof in Wien 10., Matzleinsdorferplatz im Familiengrab der Familie Ferneböck beigesetzt.
Nach der Befreiung des Konzentrationslagers berichtete der Schreiber des Totenbuchs, ein ehemaliger Häftling, dass er im Totenbuch hinter dem Geburtsort all jener Verstorbener einen Punkt angebracht hat, deren Todesursache gefälscht wurde und die in Wahrheit ermordet wurden. Das ist auch bei Ludwig der Fall.
Am Vortag seiner Deportation hatte Ludwig geschrieben, dass er nicht wisse, was ihm eigentlich zur Last gelegt werde, und noch nicht einvernommen worden sei. Er war anscheinend guten Mutes und bat Maltschi, warme Kleidung für ihn abzugeben. Meine Großtante antwortete: „Daß du wegkommst, ist der härteste Schlag und ich zittere um Deine Gesundheit. – Sorge Dich nicht um mich, ich werde alles ertragen, wenn ich weiß, daß wir wieder zusammen sein können. Das Leben ohne Dich ist nicht lebenswert und wenn ich nicht die Hoffnung hätte, daß wir uns wiedersehen, so möchte ich es lieber heute wie morgen wegwerfen.“
In zweiter Ehe war Tante Maltschi mit Otto Strauss verheiratet, dem Bruder einer ihrer Mitbewohnerinnen in der Schmelzgasse. Strauss starb nach sechs Jahren an Herzinfarkt. Von da an lebte sie allein. Bald nach der Befreiung 1945 hatte sie einen Überlebenden von Mauthausen getroffen. Der Mann erzählte ihr, dass er gemeinsam mit Ludwig im Steinbruch gearbeitet habe. Dieser sei, mit Frostbeulen übersät, am Ende seiner Kräfte gewesen. „Ich halt es nicht mehr aus. Ich geh ins Krankenrevier.“ – „Tu das nicht. Wer dort reingeht, kommt nicht mehr lebend raus.“ – „Es ist eh kein Leben mehr“, habe Ludwig Ferneböck erwidert.
Er war, nach allem, was ich von ihm weiß, ein sehr würdevoller Mann. Deshalb klammere ich mich an die Vorstellung, dass er aus Würde nicht um sein Überleben gekämpft hat.
Eva Nagl-Pölzer
Eva Nagl-Pölzer, geb. 1956 in Wien, ist die Enkelin von Johann Pölzer, dem jüngeren Bruder von Amalie Strauss-Ferneböck. Ludwig Ferneböck ist ihr angeheirateter Großonkel. Die Fotos wurden von Frau Claudia Laub (Enkelin von Hansi Lienhard, der jüngeren Schwester von Ludwig Ferneböck) aus Córdoba, Argentinien, zur Verfügung gestellt. Die Biografie entstand unter Mitarbeit des Schriftstellers Erich Hackl.
The little I know of my great uncle I picked up at home or found out a couple of years ago through documents held at the Documentation Centre of Austrian Resistance. They also have the two or three letters there that husband and wife Ludwig and Amalie Ferneböck were allowed to exchange in late autumn 1942, after Ludwig had been arrested by Gestapo officers and imprisoned at Vienna’s regional court. The letters had been left to the archive by my great aunt Amalie, née Pölzer. She was a regular visitor at our house in Sittendorf and enjoyed talking about her life at Ludwig’s side, so there was no lack of opportunity for asking her about the exact circumstances surrounding his arrest. But I shrank from doing so; I knew how deeply she had loved him and I didn’t want to hurt Aunt Maltschi, as we called her.
The pair were very different in age and background. Ludwig Ferneböck, born in 1882, came from a wealthy family – his father had owned a shoe factory – and he had a much younger sister by the name of Hansi, whom he liked to spoil. He was considered fun-loving, was handsome and was particular about his appearance. Having attended a traditional grammar school he studied law and worked at a bank after receiving his doctorate, probably the Länderbank. As its representative, he was a joint authorised signatory and board member of the Küfferle chocolate factory from 1925 to 1936. It is possible that before his banking career he had been a high-ranking civil servant, which would explain why he held the title of Ministerialrat (undersecretary). For the 1921 referendum on the question of whether Burgenland should remain in Hungary or join with Austria he was chief returning officer for the Ödenburg/Sopron district. And he was a member of the Social Democratic Workers’ Party.
He and my great aunt met at the beginning of the twenties in the offices of Chancellor Karl Renner. Maltschi was seventeen years his junior and came from a legendary social-democratic working-class family. A social housing block in the Favoriten district is named after her father, the ‘people’s champion’ Johann Pölzer, and the Amalienbad swimming pool after her mother. At barely twenty years old, she herself had become Renner’s secretary, in which capacity she had been present at the peace negotiations in Saint-Germain. Ludwig and Maltschi married soon after their first meeting. My great aunt resigned from her job and was a housewife from then on. The marriage remained childless, possibly by design, since both liked to go out, to go to the theatre, to the opera, had a wide and well-educated circle of acquaintances and enjoyed life to the full. In my family it was said of Ludwig that he was charming and not averse to extra-marital affairs. In the only photo I’ve seen of him, he is wearing a bow tie. He has an attractive round head, a bald patch, a crown of white hair, and neither moustache nor beard. He must have been about fifty or fifty-five years old when the photo was taken.
My father told us that as a school-boy, he was often invited to dine with Uncle Ludwig and Aunt Maltschi on a Sunday. The procedure was always the same: after the meal, Ludwig insisted on retiring to the study with his fifteen- or sixteen-year-old nephew to enjoy a cigar. My great aunt’s protests that the boy was too young to smoke fell on deaf ears. Ludwig also placed great importance on education and paid for my father’s English lessons. When the German Wehrmacht marched in, he was already a pensioner.
I’ve often asked myself why, after the annexation of Austria, Ludwig didn’t flee abroad – like his sister. According to the Nuremberg Race Laws he was a half-Jew, and from his many Jewish acquaintances alone he would immediately have recognised the danger. Perhaps he harboured the illusion that nothing would happen to him personally because of his service in the army in the First World War. Or be believed that his marriage to a so-called Aryan would protect him from persecution. For four and a half years he did indeed remain untouched. The reason for his arrest in October 1942 is unclear. As a Social Democrat, Ludwig’s attitudes were antifascist and he never denied his convictions. But there is no evidence that he was active in the resistance. It is conceivable that he expressed himself disparagingly about the Nazi regime. The most likely guess is that he was denounced by a neighbour who had her eye on Ludwig and Maltschi’s lovely apartment at Schwindgasse 14, Apt. 8. For after his arrest, my great aunt was informed that he would be released if she vacated the apartment. She agreed to the request and was assigned an apartment in Schmelzgasse, in the Leopoldstadt district, which she had to share with three other women, without exception the wives of Jewish men. During my research I discovered that even at the time of his arrest, a Gestapo document listed this apartment as Ludwig Ferneböck’s address. While moving out of the Schwindgasse apartment, my grandmother, who was there, remembers that a neighbour turned up to – in her words – view the apartment, getting worked up about loose or damaged wallpaper in the process.
Ludwig died on 16 December 1942, barely three weeks after his transfer from the Vienna regional court to Mauthausen concentration camp. Of pneumonia, as the camp commandant informed my great aunt. The body was cremated on 19 December at the municipal crematorium. The urn, which claimed to contain his ashes, was blessed according to Old Catholic rites in February 1943 and interred at the Matzleinsdorferplatz Protestant Cemetery in Vienna’s 10th district in the Ferneböck family grave.
After the liberation of the concentration camp, the clerk responsible for the death register, a former prisoner, reported that he had placed a dot in the death register after the place of birth for all those whose cause of death had been falsified and who, in reality, had been murdered. This was also the case for Ludwig.
On the day before his deportation, Ludwig had written that did not know what he was actually being accused of since he had not yet been questioned. He was obviously in good spirits and asked Maltschi to drop off warm clothing for him. My great aunt replied: ‘That you are being sent away is the toughest blow and I fear for your health. Don’t worry about me, I can bear anything if I know that we can be together again. Life without you is not worth living and if I didn’t have the hope that we would see each other again, I would be rid of it today rather than tomorrow.’
In a second marriage, Aunt Maltschi was married to Otto Strauss, the brother of one of her fellow residents from the Schmelzgasse. Strauss died after six years of a heart attack. From then on she lived alone. Soon after liberation in 1945 she met a survivor from Mauthausen. The man told her than he had worked with Ludwig in the quarry. Plagued with frostbite, he was at the end of his strength. ‘I can’t keep going. I’m going to the infirmary.’ – ‘Don’t do it. Those who go in don’t come out alive.’ – ‘It’s not a life any more anyway’, Ludwig Ferneböck replied.
From everything I know about him, he was a very dignified man. I cling therefore to the idea that it was dignity that prevented him from fighting for his own survival.