Marie Stará 1902 - 1942

Geboren 19.3.1902 in Praha
Gestorben 24.10.1942 in Mauthausen

Biografie

Die Geschichte der Familie Starý

Jugend und Erwachsenwerden

Jaroslav Starý wurde am 22. April 1891 in Sobíňov geboren, seine Eltern waren Josef Starý und Josefa Stará. Er absolvierte eine Gärtnereilehre. Als 19-Jähriger rückte er zum 60. Infanterieregiment in Miskolc ein, wo er bei der 10. Kompanie diente. Nach der Rückkehr vom Militärdienst verließ er den Heimatort und ließ sich in Klánovice[1] nieder, wo er als Gärtner arbeitete. Vermutlich im Jahre 1914 reiste er nach Großbritannien, wo er den Beginn des Ersten Weltkrieges erlebte. Jaroslav Starý befand sich in einem Land, mit dem Österreich-Ungarn im Kriegszustand war. Für das Gastland wurde er zum potentiellen Feind, weshalb er seit dem Herbst des Jahres 1914 in einem Kriegsgefangenenlager interniert wurde.

Dienst in der britischen Armee

Nachdem er aus der „Internierungshaft“ entlassen wurde, trat Jaroslav Starý am 2. Juli 1917 freiwillig der britischen Armee bei. Er wurde in das königliche Regiment im westlichen Kent aufgenommen und „nach einer kurzen Ausbildung“ Ende August 1917 nach Indien beordert. Im Februar 1918 wurde seine Einheit an die afghanische Grenze in die Stadt Quetta verlegt. Hier wurde er im Jahre 1919 im Dritten Anglo-Afghanischen Krieg[2] eingesetzt.

In dieser Zeit suchte er jedoch als Bürger eines neu entstandenen Staates um die Freistellung aus der britischen königlichen Armee an. Seinem Ansuchen wurde stattgegeben, und am 19. Oktober trat Jaroslav Starý die Reise in die Heimat an, wo er vermutlich zu Weihnachten 1919 ankam.

Zu Hause

Nach der Rückkehr in die Tschechoslowakei ließ sich Jaroslav Starý wieder in Klánovice nieder. Sein Gärtnereigewerbe begann sich gut zu entwickeln, sodass er sich im benachbarten Ort Šestajovice Land kaufen und im Jahre 1928 ein Wohnhaus bauen konnte. Er bewohnte es gemeinsam mit seiner Ehefrau Marie, die in Šestajovice als Lehrerin an der örtlichen Schule arbeitete.

Marie Stará, geborene Hrůzová, kam in Prag zur Welt. Sie absolvierte die Lehrerbildungsanstalt, wo sie am 6. Juni 1921 erfolgreich die Reifeprüfung ablegte. Seit dem Jahre 1922 wurde sie stellvertretende Lehrerin an der Grundschule in Šestajovice. Am 23. Jänner 1937 wurde sie per Dekret zur provisorischen leitenden Lehrerin ernannt, und in dieser Funktion war sie bis zum 30. Juni 1938 tätig.

Jaroslav Starý wurde in Šestajovice zum aktiven Mitglied der Tschechoslowakischen Sokol-Gemeinde.[3] Nach und nach erlangte er die Funktion des Obmannes des IV. Bezirkes der Sokol-Gemeinde Barák. Auch seine Ehefrau Marie war im Sokol aktiv.

Krieg

Das Leben der Eheleute Starý veränderte sich in der Nacht vom 28. auf den 29. Dezember 1941 radikal. In dieser Nacht wurde im Gebiet der Gemeinde Nehvizdy die Gruppe „Anthropoid“, bestehend aus Feldwebel Jan Kubiš und Feldwebel Josef Gabčík, abgesetzt.[4] Beide Fallschirmspringer verstauten das operative Material im Gartenhaus von Antonín Sedláček, und gegen Morgen verließen sie den Landeort und machten sich auf den Weg zu ihrer ersten Kontaktadresse. Am 13. Jänner 1942 begab sich Jan Kubiš nach Nehvizdy, wo er den Gärtner Antonín Sedláček besuchte. Gemeinsam mit ihm brachte er das gesamte Material in dessen Haus in Nehvizdy. Jan Kubiš nutzte damals den Kontakt zu František Kroutil, den sie von Pfarrer František Samek bekamen, bei dem sie nach ihrem Fallschirmsprung Halt gemacht hatten, um festzustellen, wo sie sich überhaupt befanden. František Kroutil war somit an erster Stelle hilfsbereiter Sokol-Funktionäre, welche die Gruppe „Anthropoid“ bis zu ihrem Ende begleiteten. František Kroutil schaltete bis zum Abtransport der Ausstattung der Gruppe den im Nachbarort wohnenden Břetislav Bauman und Jaroslav Starý aus Šestajovice ein. Mit deren Hilfe gelangten die gebrachten Waffen und Sprengstoffe an sichere Orte in Prag. Jaroslav Starý stattete die Mitglieder von „Anthropoid“ auch mit einem sehr nützlichen Kontakt zu dem weiteren Mitglied der Sokol-Gemeinde František Pískáček aus, der in Vysočany wohnte.

Ab dem Abtransport des operativen Materials verfügen wir über keinerlei Informationen bezüglich der Widerstandstätigkeit der Sokol-Funktionäre in Nehvizdy, Horoušany und in Šestajovice. Es hat den Anschein, dass die im Widerstand tätige Sokol-Organisation in Prag imstande war, die Angehörigen der Gruppe „Anthropoid“ sowie andere Gruppen, die seit Ende März 1942 ins „Protektorat“ gelangten und in Prag unterkamen, voll zu versorgen. Was die illegale Organisation jedoch nicht verhindern konnte, war der Verrat des Fallschirmspringers Karel Čurda aus der Gruppe „Out Distance“[5], der sich freiwillig im leitenden Amt der Gestapo in Prag in der Bredovská-Straße gemeldet hatte. Seit dem 17. Juni ging die Verhaftungswelle los, in deren Rahmen am 13. Juli František Pískáček festgenommen wurde und die am 15. Juli Šestajovice und Horoušany erreichte. An diesem Tage wurden Břetislav Bauman und Jaroslav Starý verhaftet.

Nach der Verhaftung von Jaroslav Starý versuchten die engsten Familienangehörigen, etwas für seine Rettung zu unternehmen; er sollte über Beziehungen aus der Haft frei gekauft werden. Bedauerlicherweise war das Ergebnis, dass jener Deutscher, über den dieser Versuch lief, von der Vermittlung schließlich zurücktrat, als er erfuhr, dass es sich nicht um ein wirtschaftliches Delikt handelte, sondern um Widerstandstätigkeit im Zusammenhang mit dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor.

Zu einem bislang nicht genau festgestellten Zeitpunkt wurde auch die Ehefrau von Jaroslav Starý verhaftet. Wie bei den anderen Frauen von Sokol-Widerstandskämpfern, die dasselbe Schicksal teilten, kam es zur Verhaftung Ende August des Jahres 1942. Auch das weitere Schicksal dieser Frauen ist identisch: am 15. September wurden sie in das Polizeigefängnis der Prager Gestapo in Theresienstadt („Kleine Festung“) eskortiert.

Am 27. September 1942 wurde beide Eheleute in Abwesenheit durch das Standgericht zum Tode verurteilt.

Am 22. Oktober wurde ein über 460 Männer, Frauen und Kinder zählender Transport von der „Kleinen Festung“ in Theresienstadt in Richtung des Konzentrationslagers Mauthausen abgefertigt. Davon standen 264 Personen in Verbindung mit der Unterstützung der Fallschirmspringer, die das Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor verübt hatten. Der Transport kam am darauffolgenden Tag am Bahnhof von Mauthausen an. Nach der Aufnahmeprozedur, in deren Verlauf sich der Leiter des Konzentrationslagers, SS-Sturmbannführer Franz Ziereis, selbst die Namen und Berufe dieser Verurteilten bei der „Klagemauer“ angehört hatte, wurden diese Menschen im sogenannten Bunker versammelt, wo sie die Nacht verbrachten. In der Früh um 8.30 Uhr wurde der Name der ersten Frau aufgerufen, die mittels eines Genickschusses aus einer Kleinkaliberpistole hingerichtet wurde. Frau Marie Stará wurde auf diese Weise um 11.40 Uhr hingerichtet, ihr Ehemann Jaroslav Starý um 14.18 Uhr.

Schlussbemerkung

Die Familie Starý zählte zu den ersten Mitarbeitern der Gruppe „Anthropoid“. Sie half Jan Kubiš und Josef Gabčík bei dem Abtransport des operativen Materials, und Jaroslav Starý gab der Gruppe die wertvolle Adresse des Sokol-Funktionärs in Vysočany, František Pískáček. Dadurch konnte „Anthropoid“ das Material voll nützen, mit dem die Gruppe ausgestattet war, und gleichzeitig erhielt sie die Adresse eines ergebenen Sokol-Mitglieds im Widerstand, der der zentralen Sokol-Gemeinde im Widerstand nahestand. An der Familie Starý müssen wir auch die Tatsache hochschätzen, dass von ihren unmittelbaren Nächsten oder Bekannten niemand verhaftet wurde, obgleich man selbstverständlich nicht beurteilen kann, ob sie von deren Widerstandstätigkeit Bescheid wussten.

Vlastislav Janík

Vlastislav Janík, geboren 1966, ist Repräsentant der Tschechischen Republik im Comité International de Mauthausen. Als Amateurhistoriker interessiert er sich seit 2007 für die Geschichte des KZ Mauthausen. Sein Hauptinteresse gilt den einzelnen Schicksalen der Verfolgten. Neben seinen Forschungen organisiert er Bildungsreisen zur KZ-Gedenkstätte Mauthausen.

Aus dem Tschechischen von Jana Starek



[1] Anm. d. Ü.: Klánovice ist ein östlicher Bezirk von Prag.

[2] Anm. d. Ü.: 6. Mai 1919 bis 8. August 1919.

[3] Anm. d. Ü.: Sokol bedeutet wörtlich „der Falke“; 1862 in Prag gegründeter national orientierter Turnverband, zu dessen Mitbegründern der Politiker und Journalist Josef Barák (1833–1883) zählte.

[4] Anm. d. Ü.: Das Ziel dieser vom Nachrichtendienst der tschechoslowakischen Exilregierung in London in Kooperation mit dem britischen Special Operations Executive geleiteten „Operation Anthropoid“ war die im Mai 1942 erfolgte Ermordung des stellvertretenden Reichsprotektors in Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich.

[5] Anm. d. Ü.: „Out Distance“ war der Deckname eines Sabotageanschlages auf ein Gaswerk in Prag durch eine von der tschechoslowakischen Exilregierung in Kooperation mit der britischen Armee entsandte dreiköpfige Fallschirmspringergruppe.

Position im Raum