Karl Braun 1906 - 1944

Geboren 18.11.1906 in Solingen
Gestorben 5.6.1944 in Hartheim

Biografie

Karl Braun ist ein Mensch mit unbändigem Freiheitsdrang und großer Abenteuerlust. Abenteuer, die er erlebt, malt er auf blumigste Weise aus. Zeitlebens bestimmt ihn jedoch auch ein tiefempfundenes Heimweh, das ihn immer wieder nach Solingen zurückführt. In schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, interessieren ihn von klein auf Verhaltensmaßregeln wenig. Alle Erziehungsversuche scheitern, früh gerät er mit dem Gesetz in Konflikt. Im „Dritten Reich“, wo er als „Berufsverbrecher“ gilt, werden ihm Abenteuerlust, Fabulierkunst und Heimweh schließlich zum Verhängnis.

Über Karls Jugend sind wir aufgrund der im Stadtarchiv Solingen erhaltenen Fürsorgeakte relativ gut informiert. Er kommt am 18. November 1906 in Solingen als ältestes von sechs Kindern des Schreinergehilfen Heinrich Karl Braun und seiner Frau Gertrude zur Welt. Die häuslichen Verhältnisse der Familie Braun sind nach einem Fürsorgebericht vom 6. Februar 1922 zwar geordnet, aber sehr ärmlich. Sein Vater kommt als Kriegsbeschädigter aus dem Weltkrieg zurück und kann zunächst nicht arbeiten, seine Mutter ist häufig krank. Wohl auch aufgrund der täglichen Existenznöte lebt das Ehepaar in ständigem Streit. Karl findet dabei aber vor allem bei seiner Mutter einen starken Rückhalt.

Über den Jungen schreibt Stadtfürsorgearzt Prof. Dr. Paul Selter 1922 in einem Gutachten: „Der p. Braun hat seit frühester Jugend eine auffallende Neigung zu antisocialen Handlungen und Triebhandlungen. Besonders auffallend ist bei ihm der Wandertrieb. Schon mit 2 ½ Jahren machte er weite Ausflüge und musste von der Polizei aufgegriffen wieder nach Hause gebracht werden. Obwohl an sich fleissig, schwänzt er häufig ohne Grund die Schule, findet viel Geschmack an Räubergeschichten.“ [1]

Bis Oktober 1920 besucht Karl die Schule Kannenhof. Seine Schulleistungen sind trotz unregelmäßigen Schulbesuchs gut. Direktor Huth schreibt 1921 rückblickend: „Er bringt es fertig mit dem freundlichsten Gesicht die unglaublichsten Geschichten, die von Anfang bis Ende erfunden sind, zu erzählen. Er ist selten um eine Ausrede verlegen. Sein Schulbesuch war infolgedessen auch unregelmässig. Ungezogenheiten hat er sich in der Schule nicht zu schulden kommen lassen.“ [2]

Nach der Schule lässt sich Karl vermutlich als Schlosser ausbilden, vielleicht aber erhält er diese Ausbildung auch später im Rahmen der Fürsorgeerziehung und bei einem seiner Heimaufenthalte. Er arbeitet zunächst als Hilfsarbeiter und Laufbursche. Immer wieder verlässt er nun von Zeit zu Zeit Solingen und macht sich auf den Weg nach Bingen, Koblenz und Frankfurt. 1921 rückt Karl nach Hamburg aus, vielleicht schon damals mit dem Ziel, auf einem Schiff anzuheuern. Später wird er noch öfter als Deckjunge, Matrose oder Heizer zur See fahren. Von Solingen aus wird nach Karl gefahndet. Der Verein Jugendschutz schreibt am 28. Oktober 1921 an die Polizei-Fürsorgestelle Altona: „Vor einiger Zeit verlies ein Solinger Junge sein Elternhaus. Die Eltern wurden am 27. von Frankfurt am Main aus benachrichtigt, dass er unversehens Frankfurt wieder verlassen und sich nach Hamburg begeben hat - unter Zurücklassung seiner Papiere und seines Personalausweises. Der Junge ist 1,68 m gross, schmal, mit grossen Händen und Füssen, hellblond, blass und blaue Augen. Bekleidet ist er mit mittelfarbenem grauen Anzug, schwarzen Schuhen und blauer Schirmkappe.“ [3]

In Hamburg selbst scheint Karl zunächst keinen Erfolg zu haben. Im angrenzenden Harburg ereignet sich dann ein Vorfall, der in Bezug auf Karls Verhalten zum Muster für die vielen gleichartigen Geschehnisse der nächsten Monate wird. Am Morgen des 4. November 1921 stellt sich Karl arbeitsuchend bei einem Harburger Verlag vor und wird als Laufbursche angenommen. Noch am gleichen Tag beauftragt man ihn, eine Lieferung Bücher bei der Eilgutabfertigung am Bahnhof abzugeben und vertraut ihm 50 Mark an. Auf dem Weg zum Bahnhof kommt ihm, wie er später in der polizeilichen Vernehmung in Solingen erzählt, die Idee, mit dem Geld nach Hause zu fahren. Er lässt den Handkarren mit den Büchern stehen und kauft eine Fahrkarte bis Recklinghausen, zu mehr reicht das Geld nicht. Von Recklinghausen läuft er zu Fuß nach Hause.

Von nun an folgt in schneller Folge Verfehlung auf Verfehlung: Das Jugendamt oder der Verein für Jugendschutz verschaffen ihm in Solingen Arbeitsstellen, er fängt dort an, entwendet aber bereits nach kurzer Zeit bei seinen Arbeitgebern Schneid- oder Metallwaren und verkauft diese an befreundete Personen oder Unternehmer. Oft gibt er vor, im Auftrag der Eltern zu handeln oder für diese mit dem Erlös sorgen zu wollen. Während sich Unterschlagung an Unterschlagung reiht, sind die zuständigen Behörden bereits aufmerksam geworden und überlegen, was mit dem Jungen zu machen ist. Am 6. Februar 1922 schreibt die Fürsorgestelle nach einer erneuten Festnahme Brauns aufgrund eines Eigentumsdeliktes auf einer seiner „Wanderschaften“ des vergangenen Jahres in Gießen: „Karl Braun selbst ist ein Junge, der alles von der leichten Seite nimmt, und auf den […] [kaum?] etwas nachhaltigen Eindruck macht. Auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Gießen war er hier in Schutzhaft gesetzt worden, die Mutter setzte alles in Bewegung [,] um während der Zeit für Verpflegung u. Wäsche des Jungen zu sorgen. Auf unsere telegrafische Anfrage nach Gießen hin, konnte der Junge dann hier entlassen werden. Eben 1 Stunde nach der Entlassung kam er auf unser Büro, er hatte alles Unangenehme vergessen und kam mit vielerlei persönlichen Anliegen. Für schlecht halte ich den Jungen allerdings trotz seiner verschiedenen Straftaten nicht, wohl aber für leichtsinnig, haltlos und durchaus verwöhnt von der Mutter, die ihm immer die Stange hält. Soll aus dem Jungen etwas werden, so muß er außerhalb des Elternhauses untergebracht werden. Wir suchen ihm eine geeignete Stelle.“ [4]

Am 4. April 1922 stellt das Wohlfahrtsamt Antrag auf Fürsorgeerziehung und Unterbringung von Karl in einer Anstalt. In dem Antragsbogen heißt es zunächst: „Die Eltern haben nicht die Möglichkeit gehabt, dem bei dem Minderjährigen bestehenden Hang zum Stehlen und Umhertreiben wirksam entgegenzutreten[,] obwohl sie es angeblich an eindringlichen Ermahnungen und Züchtigungen nicht haben fehlen lassen.“ [5] Auf die Frage, ob Fürsorgeerziehung notwendig sei, heißt es weiter: „Ja, der Minderjährige hat einen ausgesprochenen Hang zum Umhertreiben und Stehlen. Schon in der Schulzeit versäumte er häufig ohne Wissen der Eltern den Unterricht. Nach der Entlassung aus der Schule (Oktober 1920) wurden ihm teils durch die Eltern, teils durch den Verein Jugendschutz die verschiedensten Dienststellen verschafft. Jedesmal hat er die Arbeitsstelle nach kurzer Zeit ohne Grund verlassen. Wiederholt hat er das Elternhaus verlassen, um angeblich auswärts Arbeit zu suchen. Meist kehrte er dann nach einigen Wochen zurück. - Seit November 1921 ließ er sich mehrfach Straftaten zu schulden kommen […].“ [6] Abschließend wird auf die Frage, ob der Verwahrlosung nicht durch Einwirkung der Armenpflege entgegengewirkt werden könne, geantwortet: „Die Verwahrlosung des Minderjährigen ist bereits in einem solchen Maße fortgeschritten, daß nur noch eine Unterbringung in Zwangserziehung angebracht erscheint.“ [7]

Bevor noch über den Antrag entschieden ist, bringt seine eigene, verzweifelte Mutter am 19. April 1922 Karl zur Anzeige, da er die silberne Taschenuhr des Vaters entwendet hat und aus Angst vor einer ihn betreffenden Gerichtsverhandlung in Elberfeld erneut aus Solingen geflohen ist. Nach seiner späteren Aussage gegenüber der Solinger Polizei versucht er zweimal vergeblich, über Köln und Aachen sowie über Köln und Wesel nach Holland einzureisen. Schließlich wird er von der Bahnpolizei in Köln aufgegriffen.

Am 3. Mai 1922 fasst das Amtsgericht Solingen den Beschluss zur Unterbringung Karls in Fürsorgeerziehung, da Gefahr im Verzuge sei. Fünf Tage später wird Karl in die Rheinische Provinzial-Fürsorge-Anstalt Euskirchen eingeliefert.

Auch in Euskirchen gedenkt Karl zunächst nicht, sich dauerhaft seiner Freiheit berauben zu lassen. Im September 1922 flieht er, wird aber kurz darauf im Haus seiner Eltern festgenommen. Die Eltern selbst stellen in der Folge wiederholt Anträge auf Beurlaubung Karls, denen aber erst zu Pfingsten 1923 stattgegeben wird. Im Dezember 1922 wird Karl vom Schöffengericht Solingen noch einmal wegen Diebstahls zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Im Dezember 1923 wird Karl in Euskirchen entlassen, seine Mutter bittet beim Amt in Solingen um zwei Billionen Mark Unterstützung für die Zugfahrkarten.

Was nun im Einzelnen weiter geschieht, ist nicht mehr genau aufzuklären: Während die Gestapo später bereits für 1924 von „Wanderschaft“ und einem Dienst als Deckjunge auf einem Dampfer spricht, was zeitlich wohl eher später einzuordnen ist, lässt sich anhand der Fürsorgeakte ein weiterer Anstaltsaufenthalt von Juli 1924 bis Januar 1925 in der Erziehungsanstalt Rheindahlen nachweisen. Nach seiner Rückkehr findet Karl mit Unterstützung der Mutter und der Behörden zunächst eine vorübergehende Beschäftigung in Solingen. Ab Sommer 1926 ist er jedoch erwerbslos. Im November 1926 erreichen Solingen Nachrichten über eine erneute Inhaftierung Karls in Hamburg. Laut der Gestapoakte wird er dort im April 1927 zu vier Monaten Haft wegen Betrugs zum Nachteil des kommunistischen Rotfrontkämpferbundes (RFB) verurteilt. Nach den letzten Eintragungen in Karls Fürsorgeakte verbüßt er bis zum 8. Juni 1928 eine zehnmonatige Haftstrafe wegen Diebstahls in der Jugendstrafanstalt Wittlich. In Solingen diskutiert man bereits zuvor, ob er nach seiner Rückkehr unter die Aufsicht eines Pflegers zu stellen sei, hält dieses aber angesichts der bisherigen Erfahrungen für absolut aussichtslos, da dieser keinen Einfluss auf Karl erlangen würde.

Für die folgenden Jahre lässt sich Karls Weg nur anhand der Einwohnermeldekartei und der späteren Ermittlungen der Gestapo nachverfolgen. Immer wieder ist er „auf Reisen“, kehrt dann aber jeweils vorübergehend nach Solingen zurück. 1931 und 1932 lauten die Einträge „von bzw. nach Hamburg [auf] (See)“. Im Dezember 1932 verzeichnet die Kartei seine Rückkehr aus der Strafanstalt Neumünster. Laut der Gestapo leistet er anschließend bis zum 30. Oktober 1933 Arbeitsdienst in Mannheim. Dabei soll bei der Staatspolizei in Köln im September 1933 ein Verfahren gegen ihn anhängig gewesen sein, weil er sich vom Arbeitsdienst entfernt hat und unerlaubt die Hoheitsabzeichen von NSDAP und Stahlhelm getragen haben soll. Ebenfalls in Köln wird er angeblich im August 1934 zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, eine von zwei Zuchthaustrafen bei 21 Vorstrafen, die die Gestapo später auflistet.

Im Februar 1936 kehrt Karl laut Einwohnermeldekartei aus Coswig nach Solingen zurück, von März bis Anfang Mai 1936 geht er zur Landhilfe nach Pillupönen in Ostpreußen. Bis Februar 1937 hält er sich anschließend im Bergischen auf, bevor er dann nach Stuttgart verzieht. Was nun passiert, wenn es überhaupt passiert und nicht nur oder teilweise auf den phantastischen Erzählungen Brauns beruht, ist nur anhand der Gestapoakte nachzuvollziehen. Und auch in dieser widersprechen sich die Ergebnisse der Ermittlungen im zeitlichen Ablauf der Ereignisse.

Irgendwann im Jahre 1937 verhängt die Kripo in Solingen gegen Braun Vorbeugehaft, da er als gefährlicher „Gewohnheitsverbrecher“ gilt. Zunächst ist er jedoch nicht greifbar. Unstrittig ist dann, dass er sich am 28. Mai 1937 der Gestapo in Düsseldorf stellt, die ihn in „Schutzhaft“ nimmt. Der Gestapo erzählt der jetzt 195 cm große, dunkelblonde, blauäugige und schlanke Mann hinsichtlich der Ereignisse der vergangenen Wochen mehrere sich widersprechende Geschichten. In der vorangestellten Zusammenfassung der Gestapo heißt es: „Am 5.4.37 [später in 19.4. korrigiert] verließ er Deutschland, um sich angeblich nach Spanien (Franco) zu begeben. In Brüssel will er einem Schlepper in die Hände gefallen sein, von dem er in die Hände des komm. Nachrichtendienstes gespielt worden sein will. Er wurde im ‚bureau des komité de secours‘ in Brüssel nach Fragebogen vernommen, als geeignet für illegale Arbeit in Deutschland befunden und mit Aufträgen versehen, Sabotagetruppen in Westdeutschland vorzubereiten. Nach ausführlicher Instruktion wurde er zur weiteren Ausbildung dem Direktor der Chemieschule in Paris, Prof. Langerin, mit Empfehlungsschreiben zugeführt. Die Verbindung zu diesem nahm Braun nicht auf, obwohl er nach Paris fuhr. Dort wurde er wahrscheinlich nach mehrtägiger Observation von einem Agenten des II. Büros [französischer Auslandsnachrichtendienst] angesprochen, von diesem in mehrfachen Unterhaltungen auf seine Eignung als Agent geprüft und schliesslich einem angeblich in Metz stationierten Agenten namens ‚R. Franz‘ zugeführt, der ihm Instruktionen in Metz und Paris erteilte. Nach ausdrücklicher Bereiterklärung für den franz. N.D. [französischen Nachrichtendienst] zu arbeiten, erhielt Braun Aufträge nach Fragebogen, die deutschen Flughäfen im Westen zu erkunden. Er hat etwa 700 Frcs. Handgeld erhalten, schwankte aber[,] ob er, bzw. wie er die Angelegenheit den deutschen Behörden zur Kenntnis bringen sollte, bereiste (…) mit dem Gelde Südfrankreich und Italien und meldete sich am 18.5.1937 beim deutschen Konsulat in Genua. Mittellos kam er nach Deutschland zurück und meldete sich bei der Staatspolizeistelle in Düsseldorf.“ [8]

In einem an Dr. Werner Best, den Leiter der Hauptabteilung III des Staatspolizeiamtes in Berlin (mit Landesverrat und Spionage betraute Abwehrpolizei), persönlich adressierten Bericht ergänzt die Gestapo Ende Juli 1937 den ersten Teil der Geschichte: „Nach seinen Angaben verliess B. am 19.4.37 Deutschland, um sich nach Spanien (Franco-Armee) zu begeben. Von Düsseldorf ist er mit einem Kraftwagen, den er auf der Strasse angehalten hatte, bis Herzogenrath gefahren. Von hier aus will er illegal die deutsch-holländische Grenze passiert haben. In Holland will er sich als Emigrant ausgegeben haben und von einem Sekr. des Volkshauses in Maastricht mit einem Empfehlungsschreiben versehen nach Brüssel geschickt worden sein. Aufgrund des Empfehlungsschreibens begab er sich in Brüssel zu einem Nachrichtenbüro und traf dort einen ihn [so] bekannten Juden, der dort leitende Stellung hatte.“ [9]

Am 4. Juni 1937 verhängt die Gestapo Düsseldorf zunächst eine siebentägige „Schutzhaft“ über Braun, die zu weiteren Ermittlungen genutzt werde soll. Der persönliche Besitz Brauns besteht zu dieser Zeit laut Einlieferungsanzeige in das Polizeigefängnis aus einem Taschenmesser, einer Uhr und einer Mundharmonika. Am 24. Juli 1937 bittet man von Düsseldorf aus in Berlin um Verlängerung des Schutzhaftbefehls und weist dabei auch auf ein bei der Staatspolizei in Stuttgart seit 20. Mai 1937 anhängiges Verfahren wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“, Diebstahls und Betrugs hin. Zusätzlich soll sich Braun anlässlich der Führerrede vom 30. Januar 1937 abfällig über den Führer geäußert und sich für Ernst Röhm erklärt haben. Der Gestapobeamte schließt den Antrag mit den Worten: „Bei fast jeder der bisherigen Vernehmungen widerrief B. seine vorigen Geständnisse und baute neue Lügengebäude auf, woraus geschlossen werden muß, dass er wissentlich die Unwahrheit sagt. Da B. nach seinen eigenen Angaben beim ausl. N.D. [Nachrichtendienst] ein unbeschränktes Vertrauen genoß, muss angenommen werden, dass er dem N.D. [Nachrichtendienst] äusserst wichtige Angaben über Deutschland gemacht und dadurch Landesverrat verübt hat. Da B. bei einer evtl. Entlassung aus der Schutzhaft eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bildet, bitte ich den Schutzhaftbefehl gegen B. bis zum Abschluss der Ermittlungen bestehen zu lassen.“ [10] Auf die Idee, dass die Geschichten Brauns Phantasieprodukte sind, kommt der Beamte nicht.

Dem Düsseldorfer Antrag wird am 4. August 1937 in Berlin stattgegeben, jedoch wird um die beschleunigte Durchführung der Ermittlungen gebeten. Am 7. August wird Braun folgerichtig dem Haftrichter vorgeführt, der Haftbefehl wegen Landesverrats und Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ erlässt. Am 10. August wird er schließlich in das Gefängnis Düsseldorf-Derendorf eingeliefert.

Da die Akte keine weiteren Dokumente enthält, verliert sich nun weitgehend die Spur Brauns. Im April 1939 verzeichnet die Solinger Einwohnermeldekartei noch einmal einen Aufenthalt Brauns in der Eimterstraße 15 in Herford, dem Ort der dortigen Strafanstalt. Ob er nach der Haft in Herford jemals wieder in Freiheit entlassen wird, ist fraglich. Laut Auskunft der KZ-Gedenkstätte Mauthausen wird Braun am 23. März 1944 zur „Sicherheitsverwahrung“ in das KZ Mauthausen eingeliefert und erhält dort die Häftlingsnummer 59281. Zu einem unbekannten Zeitpunkt wird er in das Sanitätslager des KZ überstellt und dann in das „Erholungsheim“ Hartheim bei Linz verlegt, wo er am 5. Juni 1944 stirbt, sprich umgebracht wird.

Laut der Studie von Nikolaus Wachsmann werden in der österreichischen Tötungsanstalt Hartheim im Zuge der zur „Euthanasie“ zu zählenden „Aktion 14 f 13“ 1941/1942 zunächst mehrere Tausende nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge aus Mauthausen, Dachau und anderen Konzentrationslagern umgebracht. Bei den Tötungen der Häftlinge aus Mauthausen gegen Kriegsende, zu denen auch Karl Braun gehört, handelt es sich dagegen nicht mehr um einen Teil der „Aktion 14 f 13“, sondern um von der SS selbständig durchgeführte Tötungen von entkräfteten Häftlingen, den sogenannten „Muselmännern“. Den Häftlingen wird dabei vorgegaukelt sie führen zu einem „Erholungsurlaub“ in das „Erholungsheim“ Hartheim.

 

Stadtarchiv Solingen, Autor Armin Schulte

 

Quellen:

Landesarchiv NRW - Abteilung Rheinland – RW 58, Nr. 23841 [8–10].

Stadtarchiv Solingen, S 6782 [1–7].

 

Literatur:

Armin Schulte: „Man soll mich nicht vergessen!“ Stolpersteine in Solingen. Schicksale 1933–1945, hrsg. vom Stadtarchiv Solingen (Solingen 2020).

Nikolaus Wachsmann: KL – die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager (München 2016).

 

Stolperstein: 

Baumstraße 39, verlegt am 2.8.2017

https://www.solingen.de/de/archiv/stolperstein-braun-karl-neu/

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