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Marianne Nagy 1924 - 1945 Bearbeiten

Geboren 22.8.1924 in Lőrinci
Gestorben 5.5.1945 in Mauthausen

Biografie

Marianne Nagy war gerade 20 Jahre alt, als sie in Mauthausen verstarb. Geboren wurde sie am 22. August 1924 in Budapest als zweite Tochter einer bürgerlich-jüdischen Familie. Gemeinsam mit ihren Eltern, Mihály Nagy und Rózsa Fehérváry, und ihrer zwei Jahre älteren Schwester, die ebenfalls Rózsa hieß, lebte Marianne in einem Einfamilienhaus. Die Eltern waren assimilierte Juden, Besuche in der Synagoge eher selten. Beide Töchter der Familie besuchten ungarische Mittelschulen, erhielten Klavierunterricht und waren sportlich sehr aktiv. Deutsch lernten sie auch zu Hause durch die Betreuung deutschsprachiger Kindermädchen aus Siebenbürgen.

Mariannes Mutter entstammte einer Uhrmacherfamilie. Ihr Großvater, der lange in Wien und den USA gelebt hatte, hatte 1881 in der südlich von Budapest gelegenen Stadt Kecskemét ein Geschäft eröffnet. Dieses wurde später von seinem Sohn, das heißt von Rózsa Fehérvárys Zwillingsbruder und Mariannes Onkel, übernommen. Mariannes Mutter führte ein Foto- und Optikfachgeschäft in Budapest, der Vater war Direktor einer Versicherung. Da er wesentlich älter war als die Mutter, blieb er von einer Einberufung in den ab 1939 praktizierten ungarischen Zwangsarbeitsdienst für Juden (munkaszolgálat) verschont; er starb 1943 an Krebs. Marianne und ihre Schwester hatten zudem einen jüngeren Bruder, der jedoch ebenfalls schon jung, mit zwölf Jahren, einer schweren Krankheit erlag.

Während Marianne eine Ausbildung zur Cellistin absolvierte, wurde ihre Schwester Rózsa Optikerin und arbeitete gemeinsam mit der Mutter im Geschäft. Bis zur Besetzung des Landes durch die Deutschen am 19. März 1944 gelang es der kleinen Familie, sich trotz einer Vielzahl diskriminierender antijüdischer Gesetze, die die ungarische Regierung seit 1938 implementiert hatte, von den Einnahmen zu ernähren. Zwar blieben Marianne, ihre Schwester und ihre Mutter nach dem Machtwechsel wie die meisten anderen als „jüdisch“ definierten Bewohner von Budapest bis zum Herbst zunächst von der Deportation verschont, doch Anordnungen wie das Tragen des „Judensterns“ (ab 5. April 1944), die Enteignung jüdischen Besitzes oder die Übersiedlung in so genannte Gelbe-Stern-Häuser (sárga csillagos házak) ab Juni 1944 machten das Leben bald unerträglich.

Nach der Machtübernahme der faschistischen „Pfeilkreuzler“ (nyilas) Mitte Oktober 1944 erfolgte Ende des Monats der Aufruf der Regierung, alle jüdischen Männer zwischen 16 und 60 und alle jüdischen Frauen zwischen 16 und 40 Jahren müssten sich zum „Vaterländischen Arbeitsdienst“ melden. Zwar war Mariannes und Rózsas Mutter zu diesem Zeitpunkt bereits weit über 40 Jahre alt, doch da sie ihre Kinder nicht allein lassen wollte, fanden sich alle drei an dem dafür vorgesehenen Sammelpunkt in Budapest ein. Zunächst wurden sie in der Nähe von Budapest in einer Schule untergebracht und mussten rund um die Hauptstadt Panzergräben ausheben und Schanzen aufwerfen. Später kamen die Frauen in die Ziegelfabrik von Óbuda, danach waren sie gezwungen, einen etwa 200 Kilometer langen, mehrtägigen Fußmarsch an die österreichische Grenze anzutreten.[1] Bei Zürndorf wurden sie schließlich in Züge gezwungen und erreichten vermutlich Mitte Dezember nach mehrtägiger Zugfahrt das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.[2] Dort mussten sie mehrere Wochen unter furchtbaren hygienischen Bedingungen in einem großen Zelt ausharren sowie innerhalb des Lagers sinnlose und kraftraubende Arbeiten erledigen, zum Beispiel Sand von einem Haufen auf den nächsten schippen. Mitte Jänner[3] wurden Marianne und ihre Schwester von Ravensbrück in das Flossenbürger Außenlager Venusberg bei Chemnitz verlegt[4], wo sie bis zu dessen Auflösung Mitte April 1945 für die Junkers-Werke Zwangsarbeit leisten und Flugzeugteile herstellen mussten.[5] Die Mutter war in Ravensbrück zurückgeblieben, vermutlich ist sie dort gestorben. Durch die monatelangen Strapazen der Deportation und den ca. zwei Wochen dauernden Evakuierungstransport kamen Marianne und Rózsa Ende April/Anfang Mai 1945 äußerst geschwächt und krank in Mauthausen an.[6] Die Befreiung des Lagers hat Marianne nicht mehr erlebt.

Doreen Eschinger

Doreen Eschinger Doktorandin an der Humboldt-Universität Berlin und Redakteurin im C.C. Buchner Verlag Bamberg. 2011–2013 Mitarbeit an der neuen Hauptausstellung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück; 2009–2010 Stipendiatin der Fondation pour la Mémoire de la Shoah; 2005–2008 Mitglied des Promotionskollegs der Robert Bosch Stiftung; 2007 Stipendium des Deutschen Historischen Instituts Washington, D.C.; 2006 Fellow am U.S. Holocaust Memorial Museum.



[1] Nach Aussage von Rózsa Nagy hatten sie, ihre Schwester und ihre Mutter an der Grenze einen „Schutzpass“ durch einen Freund der Familie erhalten, der dem Treck mit dem Fahrrad gefolgt war. So kehrten sie zunächst auf einem Lastwagen nach Budapest zurück. Dort seien sie jedoch sofort wieder verhaftet und anschließend mit dem Zug an die Grenze zurückgeschickt worden (Interview mit Rózsa Nagy, Interviewerin: Doreen Eschinger, Privatarchiv Doreen Eschinger).

[2] Das genaue Datum der Ankunft in Ravensbrück ist unklar; in Interviews, die die Autorin mit Rózsa Nagy geführt hat, variiert der Zeitpunkt der Ankunft im Frauenkonzentrationslager zwischen Anfang und Mitte Dezember. Eine Zugangsliste, die die Namen der Frauen enthält, ist nicht überliefert.

[3] Es existiert eine Überstellungsliste von Ravensbrück nach Venusberg vom 15. Jänner 1945, die 500 Namen ungarisch-jüdischer Frauen enthält; darunter auch die Namen der Nagy-Schwestern. Vermutlich waren nahezu 400 der 500 Frauen zuvor am 11. Dezember aus Budapest in Ravensbrück angekommen. Vgl. dazu Judith Buber Agassi: The Jewish Women Prisoners of Ravensbrück. Who were they? (Oxford 2007), S. 112f.

[4] Marianne Nagy wurde dort unter der Flossenbürger Häftlingsnummer 62075 registriert, ihre Schwester unter der Nummer 62074. Vgl. dazu die CD-ROM im Anhang von Buber Agassi (Buber Agassi: The Jewish Women Prisoners, S. 460), die eine Liste mit Namen und Daten enthält.

[5] Für weitere Informationen zu diesem Außenlager siehe u. a. Pascal Cziborra: KZ Venusberg. Der verschleppte Tod (Bielefeld 2008) sowie Ulrich Fritz: Venusberg. In: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück (München 2006), S. 263–267.

[6] Für das Datum der Ankunft in Mauthausen existieren in der Forschungsliteratur unterschiedliche Angaben. Pascal Cziborra erklärt, das Lager Venusberg sei am 14. April 1945 evakuiert und die Frauen seien mit dem Zug nach Gusen deportiert worden, wo sie am 29. April 1945 eintrafen, in verschiedenen Lagerteilen untergebracht und am 5. Mai befreit wurden (siehe Pascal Cziborra: Frauen im KZ. Möglichkeiten und Grenzen der historischen Forschung am Beispiel des KZ Flossenbürg und seiner Außenlager [Bielefeld 2010], S. 119). Ulrich Fritz spricht von einer Ankunft in Mauthausen am 4. Mai 1945 (vgl. Fritz: Venusberg, S. 266). Ähnlich wie Cziborra erklärt Andreas Baumgartner, dass der Evakuierungstransport über Gusen geführt worden sei. Am 30. April sei der Transport dann schließlich im Konzentrationslager Mauthausen eingetroffen; die letzten Tage bis zur Befreiung hätten die überlebenden Frauen dann in den Baracken 9 und 10 im Sanitätslager verbracht (siehe Andreas Baumgartner: Die vergessenen Frauen von Mauthausen. Die weiblichen Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen und ihre Geschichte ([Wien 1997], S. 192f.). 

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