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Johann Gruber 1889 - 1944 Bearbeiten

Geboren 20.10.1889 in Tegernbach
Gestorben 7.4.1944 in Gusen

Biografie

DIE NACHT IN DER WIR LEBEN

Leben und Sterben des Weltpriesters Johann Gruber

 

Ein Heiliger wird er genannt, Papa Gruber, der Engel, der den Gefangenen Hoffnung gibt. Während die Mehrheit wegsieht, sich duckt, Unrecht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinnimmt, ist er einer, der sich nicht beugen und brechen lässt von dem mörderischen Regime, das in Österreich die Macht ergreift.

Johann Gruber ist in dem kleinen Ort Tegernbach in Oberösterreich geboren worden, er stammt aus ärmsten Verhältnissen. Seine Mutter stirbt, als er elf ist, bei der Geburt des fünften Kindes, der Vater wenige Tage später. Johann und seine Geschwister wachsen im Waisenhaus auf. Er studiert Geschichte, wird Hilfsgeistlicher, Lehrer, schließlich angesehener Leiter der Blindenanstalt in Linz. Die Nazis lehnt er rigoros ab, schimpft auf den „Scheiß-Inquart“[1], duldet kein Führerbild in der Schule und erntet dafür eine Anzeige wegen nazifeindlicher Gesinnung. Lehrer an seiner Schule denunzieren ihn, er soll blinde Mädchen unsittlich berührt haben. Johann Gruber wird zu drei Jahren schweren Kerkers verurteilt, er erhebt Einspruch und erreicht eine Minderung der Strafe auf zwei Jahre. Nachdem er sie verbüßt hat, kommt er 1940 ins Konzentrationslager Dachau und weiter als Häftling Nummer 43050 nach Gusen, das berüchtigte Außenlager von Mauthausen. Seine Arbeit im Häftlingsrevier verschafft ihm Zugang zu Medikamenten, mit denen er schwer Erkrankte versorgt und vielen das Leben retten kann. Der französische Dichter und Résistancekämpfer Jean Cayrol[2], als Zwangsarbeiter nach Gusen verschleppt, erinnert sich an die „Grubersuppe“, die ihm „Papa Gruber“ im Waschraum von Block 12 einflößt, als er die Schwerarbeit im Steinbruch nicht länger erträgt und nur mehr sterben will. Gruber verschafft ihm eine leichtere Tätigkeit in der Lagerfabrik. Dort erholt er sich allmählich. In Arbeitspausen schreibt er unter dem Tisch der Werkstatt an seinen Gedichten.

1942, beim Bau der Eisenbahn vom Lager zum Bahnhof, stoßen Zwangsarbeiter auf bedeutende archäologische Funde aus der Spätbronzezeit. Die Kontrolle der Zwangsarbeiter bei den Ausgrabungen übernimmt ein Funktionshäftling, der studierte Historiker Gruber, eine Stellung, die ihm zu Kontakten außerhalb des Lagers verhilft. Er baut in Gusen ein Netzwerk des Widerstandes auf, organisiert Schulunterricht, Gottesdienste, bringt Lebensmittel und Medikamente ins Lager. Sein Brief an den Linzer Bischof, der die grauenhaften Zustände in Gusen anklagt, gerät in die Hände der Lagerleitung. Im März 1944 kommt er in Bunkerhaft und erduldet über Wochen die schlimmsten Folterungen. Am Karfreitag, den 7. April 1944, erscheint der Lagerkommandant Seidler. „Verrecke wie dein Meister zur dritten Stunde“, schreit er, während er weiter und weiter auf sein Opfer einprügelt. Ein Strick wird gebracht, Johann Gruber soll damit Selbstmord begehen. Er tut es nicht. Schließlich erwürgt ihn Seidler mit seinem Ledergürtel und hängt ihn mit dem Kopf nach unten auf.

 

La nuit que nous vivons n’est pas nôtre                  

Cette nuit dérobée dans un ciel sans défense,

douce rumeur du désastre, murmure sans fins

de la peur.

Minuit sonne sur le monde.

 

Die Nacht, in der wir leben, gehört uns nicht.

Diese gestohlene Nacht unter wehrlosem Himmel,

Von fern der Schlachtenlärm der Katastrophe,

Ein Flüstern ohne Unterlass von Furcht.

Mitternacht schlägt es auf der Welt.[3] 

 

Erst ein Jahr später, der Krieg ist beinahe zu Ende, erhält die erzbischöfliche Nuntiatur Nachricht vom „Freitod“ des Priesters. Die Asche sei im Lager abzuholen. Nach der Befreiung am 5. Mai 1945 geben Häftlinge Bericht von seinem grausamen Ende.

1994, 50 Jahre nach Johann Grubers Tod, besucht der Maler und Bildhauer Alfred Hrdlicka mit seinen Schülern das ehemalige Lager Gusen, auf dem nach dem Krieg ein neuer Ortsteil entstanden ist, mit schmucken Häusern und Gärten, die beim Umstechen immer wieder Überreste menschlicher Knochen freigeben.

36.000 Menschen sind in Gusen und der Stollenanlage „Bergkristall“ ermordet worden, ein bis heute nicht vollständig aufgearbeitetes Kapitel österreichischer Zeitgeschichte.

„Mir fällt nichts ein, mir fällt was auf“ lautet das Credo Alfred Hrdlickas. Über das Sterben des unbeugsamen Johann Gruber schafft er einen Zyklus von 14 Radierungen.

1998 hebt das Landesgericht Linz das Urteil gegen Johann Gruber wegen nazifeindlicher Gesinnung und Verwerflichkeit des Charakters auf. Der Vorwurf des Sittlichkeitsverbrechens wird davon nicht berührt, er lässt sich weder beweisen noch entkräften. Erst am 7. Jänner 2016 hebt das Landesgericht für Strafsachen in Wien das Urteil auf.

Susanne Ayoub

Susanne Ayoub ist eine österreichisch-irakische Schriftstellerin, Journalistin und Filmemacherin. In ihrem Werk spielen Themen der österreichischen Zeitgeschichte eine wichtige Rolle. 2012 erschien ihr Roman Das Mädchen von Ravensbrück. Ihr Dokumentarfilm Es war einmal in Mauthausen lief 2015 im ORF.

 

Bild: Johann Gruber (1899-1944), gezeichnet von Alfred Hrdlicka unter dem Titel „Liegt blutverschmiert im Bunker“, aus: Wolfgang Bandion: Johann Gruber, Mauthausen-Gusen, 7. April 1944 (Wien 1995).

 


[1] Arthur Seyß-Inquart war interimistisches Staatsoberhaupt und Bundeskanzler, nachdem am 11. März 1938 Kurt Schuschnigg als Bundeskanzler und Wilhelm Miklas als Bundespräsident zurückgetreten waren.

[2] Jean Raphaël Marie Noël Cayrol (1911–2005), in Bordeaux geborener und gestorbener französischer Schriftsteller, Verleger und Widerstandskämpfer. Sein vielfach ausgezeichnetes Werk umfasst Prosa, Lyrik und Filmdrehbücher.

[3] Auszug aus einem von Jean Cayrols Gedichten, entstanden 1944-1945 in Gusen, erschienen 1997 unter dem Titel Alerte aux Ombres, Éditions du Seuil.

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