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Raoul Lion 1897 - 1944 Bearbeiten

Geboren 4.7.1897 in Toulouse
Gestorben 12.9.1944 in Hartheim

Biografie

Antonin Lion, der von allen Henri genannt wurde, und sein Bruder Raoul waren beide Druckermeister in Toulouse (Departement Haute-Garonne). Jean-Louis, Raouls Sohn, hatte den gleichen Vornamen wie sein 1937 verstorbener Großvater, der zunächst eine Druckerei in der Rue Peyrolières Nr. 39 in Toulouse gegründet hatte; diese Druckerei übersiedelte in die Rue Romiguières Nr. 2. Raoul übernahm die erste Druckerei und hatte seinen Wohnsitz an der gleichen Adresse. Henri und Jean-Louis wohnten in derselben Stadt – Henri in der Avenue Jules Julien Nr. 55, sein Neffe in der Rue Théophile Silvestre Nr. 1 (heutige Rue Arthur Legoust). Henri war in erster Ehe mit Justine Gasseau verheiratet, nach der Scheidung heiratete er am 29. Dezember 1924 Marie-Rose Manzac (Amélie genannt, ihr dritter Vorname). Am 23. Dezember 1920 heiratete Raoul Marie Soulier in Decazeville, aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor – Jean-Louis, geb. am 16. Mai 1921, und Robert. Jean-Louis arbeitete neben seinem Pharmaziestudium bei seinem Vater als Schriftsetzer und heiratete Gabrielle Sajus am 4. Juli 1942.

Nachdem sie zwischen den beiden Kriegen zahlreiche Flugblätter, Zeitungen und Plakate für die libertäre und anarchistisch-syndikalistische Bewegung gedruckt und im Mai 1940 ein spanisches Manifest der Spanischen Demokratischen Allianz (ADE) gedruckt hatten, in dem die Neutralität Spaniens im Weltkonflikt gefordert wurde, stellten sich Antonin, Raoul, Jean-Louis und ihre Mitarbeiter in den Dienst der Résistance und druckten Zeitungen und Flugblätter verschiedener Organisationen, aber auch Lebensmittelkarten und gefälschte Ausweise. Ihnen verdanken wir auch die erste gedruckte Ausgabe des Buches von Pierre Besnard, Pour assurer la paix: comment organiser le monde (Wie soll die Welt organisiert werden, um den Frieden zu gewährleisten).

Am 4. Februar 1944 nahm die Gestapo gleichzeitig in beiden Druckereien der Brüder Lion, also in der Rue Baragnon Nr. 3 und in der Rue Romiguières Nr. 2, eine Hausdurchsuchung vor. Die Drucker (einschließlich Amélie), ihre Angestellten (der Buchhalter Louis Laffon, die Schriftsetzer Jules und Antoine Fages, François Duclos, Jean Nalbert, Jacques Flourac und Georges Séguy, der Lektor Marius Bernadoy und die Bogenanlegerinnen Jeanne Fontes und insbesondere Marguerite Méné), Widerstandskämpfer, die ihre illegalen Druckwerke abholen gekommen waren, und sogar einfache Kunden, die ihre Bestellung abholten, wurden von den Deutschen verhaftet. Noch am selben Tag wurden alle ins Gefängnis Saint-Michel in Toulouse gebracht. Während der nächsten Tage wurden alle Leute, die sich den beiden Druckereien näherten, festgenommen und von den Deutschen verhört. Ende Februar wurden alle verhafteten Personen ins Frontstalag 122 von Compiègne Royallieu gebracht; den Mitgliedern der Familie Lion wurden die Nummern 28294 (Jean-Louis), 28296 (Henri) et 28297 (Raoul) zugewiesen. Am 22. März 1944 wurden sie zusammen mit mehr als 1.200 Männern im Zuge des ersten großen Konvois des Jahres 1944 nach Österreich deportiert – 23 der Deportierten waren in einer der beiden Druckereien festgenommen worden. Nach drei Tagen Fahrt in Viehwaggons erreichten sie am 25. März 1944 Mauthausen, wo ihnen die Häftlingsnummern 60176 (Antonin), 60177 (Jean-Louis) und 60178 (Raoul) zugewiesen wurden.

Nach ein paar Wochen Quarantäne im Zentrallager gingen die drei Männer erstmals die berüchtigte zum Steinbruch führende Stiege hinunter. Bereits am darauffolgenden Tag (14. April) wurde Raoul im Krankenrevier aufgenommen. Anfang Mai verließ zuerst Jean-Louis, dann Henri das Lager: Am 7. Mai legte Jean-Louis gemeinsam mit 698 Männern – davon etwa hundert Franzosen, die im Frühjahr in Österreich angekommen waren – die wenigen Kilometer, die Mauthausen von Gusen trennen, zu Fuß zurück. Sein Onkel folgte zwei Tage später mit einer Gruppe von 200 Männern. Während Jean-Louis als Hilfsarbeiter eingesetzt wurde, wurde Henri nach ein paar Tagen oder Wochen Arbeit im Revier aufgenommen; infolge einer Selektion wurde er ins Schloss Hartheim gebracht. Sein Bruder erlitt dasselbe Schicksal im Sanitätslager von Mauthausen. Da die Todesdaten im Zusammenhang mit den Vergasungen im Schloss Hartheim oft vordatiert wurden, wissen wir nicht, wann Raoul und Henri Lion tatsächlich ermordet wurden. Offiziell starben sie am 12. bzw. 21. September 1944. Am 26. September verließ Jean-Louis das Revier von Gusen und wurde neuerlich für die Waffenproduktion im Rahmen des Projekts „Esche II“ als Arbeiter eingesetzt. Am 17. Mai 1945 fand der völlig erschöpfte Jean-Louis die Kraft, seiner Familie ein letztes Mal vor seinem Tod zu schreiben. Seine Leiche wurde 1955 im Zuge der Exhumierungen auf dem ehemaligen SS-Sportplatz unterhalb des Lagers gefunden, wo die Verstorbenen zum Zeitpunkt der Befreiung und auch danach beerdigt worden waren.

Von den 23 Männern, die zugleich mit der Familie Lion festgenommen und deportiert worden waren, kamen nur acht nach Frankreich zurück (Raoul Saint Martory, Jean-Marie Lavigne, François Carrère, Georges Séguy – der spätere Sekretär des Gewerkschaftsbundes Confédération Générale du Travail – Louis Suspène – am 18. Juni 1950 in Toulouse gestorben – Marcel Champeix, Noël Rodrigo und Serge Giorgetti). Antoine Fages, François Duclos, Louis Laffon und Jean-Marie Fournial, der unter seinem falschen Namen Léopold Lachaud deportiert wurde, starben am 23. August 1943 (offizielles Todesdatum) in Hartheim. Raymond, der Sohn von Louis Laffon, starb am 3. Februar 1945 in Gusen II, Louis Plana starb acht Tage später am selben Ort. Folgende Männer kamen ebenfalls in Gusen ums Leben: Lucien Artaud (am 12. Februar 1945 im Block 8), Jacques Kalmanovitsch (am 1. März im Block 31) und Jules Fages, der vom Block 24 in den Block 31 überstellt wurde, bevor er am 22. April 1945 vergast wurde. Jean Nalbert und Maurice Fonvieille starben am 18. Mai 1944 bzw. am 17. März 1945 im Sanitätslager des Zentrallagers. Philippe Castan starb am 30. Juni 1944, als er von Eisenerz nach Mauthausen zurückgebracht wurde. Jacques Flourac starb am 28. Februar 1945, während Marius Bernadoy am 16. Juni 1945 im Evakuationsspital 413 von Reichenau verstarb. Adolphe Coll wurde am 27. Oktober 1944 nach Flossenbürg und in weiterer Folge nach Zschachwitz überstellt, wo er am 15. Februar 1945 starb. Die drei Frauen, die am 16. März 1943 von Romainville nach Ravensbrück und am 7. März 1945 von dort nach Mauthausen deportiert wurden, sind nach Frankreich zurückgekehrt. Nach ihrer Rückkehr heiratete die nunmehr verwitwete Amélie Charles Mardaga, einen ehemaligen Mauthausen-Häftling, der am 22. April 1945 gleichzeitig mit ihr mit dem ersten Konvoi des Internationalen Roten Kreuzes nach Frankreich zurückgebracht wurde.

Henri, Raoul und Jean-Louis Lion erhielten die Auszeichnung Mort pour la France (Für Frankreich gestorben) und den Titel Déporté résistant (deportierter Widerstandskämpfer). Eine Straße in Toulouse wurde nach den Brüdern umbenannt.

Adeline Lee

Quellen:

SHD (Service Historique de la Défense - Zentrales Archiv des französischen Verteidigungsministeriums und der französischen Armee), Akte MED 21 P 479044 (Antonin), 21 P 479054 (Jean-Louis), 479070 (Raoul), LA 20744 (Auszug einer Liste der auf dem „amerikanischen“ Friedhof von Mauthausen anhand der auf den jeweiligen Körpern gefundenen Häftlingsnummern identifizieren Leichen) (Jean-Louis), MA 16/2, 27/2, 60/2, 57/2, 58/1 (1. Vorage-Liste), 27/5, 55, 26 P 1132 Originalregister des Konzentrationslagers Mauthausen, Häftling-Personal-Karte (Jean-Louis).

Literatur:

Séguy Georges, Résister. De Mauthausen à mai 68 (Widerstand leisten. Von Mauthausen bis Mai 68), Paris, L’Archipel, 2008, 231 Seiten.

Choumoff Pierre Serge, Les assassinats par gaz à Mauthausen et Gusen, camps de concentration nazis en territoire autrichien (Massentötungen in den Gaskammern von Mauthausen und Gusen, nationalsozialistische Konzentrationslager auf österreichischem Gebiet), Auszug aus der Revue Le Monde juif (Die jüdische Welt) Nr. 123-124 des Zeitgenössischen jüdischen Dokumentationszentrums CDJC (1986), Paris, 1987, 63 Seiten.

Choumoff Pierre Serge, Les assassinats nationaux-socialistes par gaz en territoire autrichien, 1940-1945 (Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas auf österreichischem Gebiet, 1940-1945), Wien/Paris, Mauthausen-Studien/Pierre Serge Choumoff, Band 1b, 2000, 158 Seiten.

Winkler Jean-Marie, Gazage de concentrationnaires au château de Hartheim (Vergasung der KZ-Häftlinge im Schloss Hartheim). L’action « 14f13 » 1941-1945 en Autriche rattachée (Die Aktion „14f13“ 1941-1946 in Österreich nach dem Anschluss). Nouvelles recherches sur la comptabilité de la mort (Neue Nachforschungen über die Buchhaltung des Todes), Vorwort von Yves Ternon, Paris, Tirésias, Samml. „Die Vergessenen der Geschichte“, 2010, 383 Seiten.

Websites: http://mathieuarnal.blogspot.fr/2014/10/les-freres-lion-les-imprimeurs-de-la.html (Foto); http://militants-anarchistes.info/spip.php?article3380 ; http://militants-anarchistes.info/spip.php?article3379

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