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Wilhelm Roser 1905 - 1943 Bearbeiten

Geboren 4.7.1905 in Nürnberg
Gestorben 20.1.1943 in Steyr

Biografie

Wilhelm „Willi“ Roser war das dritte von vier Kindern des Ehepaars Johann Andreas Roser und Luise Roser, geb. Mangold. Der Vater ist im Taufbuch Nürnberg St. Peter als Postbürodienergehilfe aufgeführt; er war später Zollinspektor in Nürnberg. Als Taufpate ist Friedrich Wilhelm Mangold, Bäcker, angegeben; nach ihm wurde Wilhelm Roser benannt. Die älteste Schwester Berta Roser, verh. Heckel, gest. 1957, hat Wilhelm in Mauthausen als seine Angehörige angegeben; weitere Geschwister sind Johann, gest. 1973, und Emil, gest. 1969. Er wurde am 30. Juli 1905 in Nürnberg St. Peter evangelisch getauft und am 13. April 1919 in der Dreieinigkeitskirche Nürnberg konfirmiert; er besuchte die Preißlerschule in Nürnberg. Als Beruf wird in allen vorliegenden Unterlagen „Kellner“ angegeben.

Wilhelm Roser heiratete am 20. März 1930 Anna Marie, geborene Krauß, im Standesamt Sommersdorf (Heiratsregister 1) und noch am gleichen Tag kirchlich. Die eheliche Wohnung befand sich in der Breiten Gasse 50, Nürnberg, im St. Hubertus (Name des Restaurants, das Wilhelm und Anna als Pächter übernahmen) und musste bereits Ende Juni 1930 wieder aufgegeben werden.

Die Eheleute trennten sich bereits am 1. August 1930 wieder; Anna reichte die Scheidung ein, die Ehe wurde wegen tiefer Zerrüttung am 30. März 1932 in mündlicher Verhandlung geschieden. Die Schuld wurde dabei Wilhelm Roser zugerechnet, der diese auch anerkannte. Rechtskräftig wurde die Scheidung am 13. April 1932.

Aus der Ehe ging ein Sohn hervor, Hans Leonhard Roser, geboren am 7. März 1931. Er sah seinen Vater nie, da die Mutter ihrem (Ex-)Ehemann den Zugang verwehrte und in die Heimatgemeinde Claffheim zurückkehrte. Hans Roser berichtete später davon, einmal nachts Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen seinem Vater und seiner Mutter gewesen zu sein, allerdings konnte er dies nur hören.

Als Gründe für die baldige Zerrüttung geht aus den Akten hervor, dass Wilhelm Roser die Ehe mit ihr unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eingegangen sei. Er sei, wie sie erst später erfuhr, bereits sieben Mal vorbestraft gewesen – wegen Diebstahls, Unterschlagung, Urkundenfälschung und Betrugs, zum ersten Mal mit 17 Jahren. Während der Ehe kam wohl eine weitere Straftat (Unterschlagung von 20 Reichsmark) dazu, die nach Urteil des Amtsgerichts Nürnberg eine dreiwöchige Haftstrafe – ab 1. August 1931 – nach sich zog und (so vermute ich) Anlass für die Trennung war. Die Delikte hörten allerdings nicht auf, sondern setzten sich schon Ende August fort; notiert ist die „Erschwindelung“ von 30 Flaschen Weißwein. Aus dem Scheidungsurteil geht hervor, dass Wilhelm vielfältig Geschäftsschulden machte, sich „herumtrieb“, nachts nicht nach Hause kam – alles zusammen Hinweise auf einen Kleinkriminellen, dessen „Karriere“ sich nach der Trennung fortsetzte. Im Dezember 1930 erfolgte eine Verurteilung zu zehn Monaten Haft im Landgefängnis Mannheim; ab 1. April 1932 war er im Gefängnis St. Georgen in Bayreuth inhaftiert. Das Scheidungsurteil notiert, er besitze „keinen sittlichen Halt mehr“, sei „offensichtlich ein leichtsinniger Mensch, dessen Aussichten auf Besserung gering sind“. Allerdings sei er kein „Trunkenbold“ gewesen. Im Jahr 1933 fiel er in Koblenz, Hof und Neuenmarkt [sic] wiederholt wegen kleiner Betrügereien auf. Von Gewalttaten oder sonstigen Übergriffen ist nirgendwo zu lesen. Als weiterer Ort wird noch Dessau genannt.

Über den weiteren Weg von Wilhelm Roser ist nichts bekannt. Aus Mitteilungen seiner Schwester Berta (Nürnberg) und der Schwägerinnen Hildegard Roser (Duisburg) und Anneliese Roser (Augsburg) geht hervor, dass die Inhaftierung Wilhelms im Konzentrationslager wegen der „Verbreitung von Gedichten über Hitler“ und des Absingens von Spottliedern über Hitler erfolgt sei. Er sei „von der Polizei abgeholt“ worden.

Anna Roser kehrte in ihre dörfliche Heimat zurück und zog ihren Sohn Hans allein auf. Sie schilderte diese Jahre als Zeit der Schmach und der Nachstellungen; sie sei Freiwild gewesen. Von der als Schande empfundenen Ehe mit und Scheidung von Wilhelm erholte sie sich niemals und konnte auch mit ihrem Sohn nicht darüber sprechen. Fünf Jahre später heiratete sie den Waldarbeiter Georg Völklein, mit dem sie drei weitere Kinder hatte. Seinem Stiefsohn wurde er ein verehrter und geliebter Vater, der allerdings 1942 nach dem Russlandfeldzug in Stalingrad verschollen blieb.

In das Konzentrationslager Mauthausen wurde Wilhelm Roser als SV-Häftling („Sicherungsverwahrungshäftling“) gebracht. Grundlage war die Vereinbarung zwischen Reichsführer SS Himmler und Justizminister Thierack (September 1942) zur Verbringung von Justizhäftlingen nach Mauthausen. Dem Totenbuch zufolge ist er am 20. Jänner 1943 im Außenlager Steyr-Münichholz „an Epilepsie“ gestorben. Die Mitteilung des Todes an die älteste Schwester Berta durch den SS-Untersturmführer der Kommandantur des KZ Mauthausen (kein Name!) behauptet als Sterbeort das „hiesige Krankenhaus“.

Das Schreiben aus dem KZ gaukelt der Familie allerdings vor, man habe sich um Wilhelms Gesundung bemüht: „Ihr Bruder Wilhelm wurde, als er sich krank meldete, unter Aufnahme in den Krankenbau in ärztliche Behandlung genommen. Es wurde ihm die bestmögliche medikamentöse und pflegerische Behandlung zuteil. Trotz aller angewandter ärztlichen Bemühungen gelang es nicht, der Krankheit Herr zu werden. Ihr Bruder starb, ohne letzte Wünsche geäussert zu haben. Ich spreche Ihnen zu diesem Verlust mein Beileid aus.“

Dem Schreiben nach wurde die Leiche von Wilhelm Roser am 23. Jänner 1943 „im staatlichen Krematorium eingeäschert“. Der Schwester wurde angeboten, die Urne gebührenfrei zugesandt zu bekommen, sofern eine Zustimmung zur Bestattung durch die örtliche Friedhofsverwaltung vorliege. Die Asche wurde wohl laut Friedhofsverwaltung Nürnberg im Rahmen eines Sammeltransports anonym am Westfriedhof Nürnberg bestattet. Ende März 1943 wurden Berta seine Kleidungsstücke aus der Effektenkammer zugeschickt: Eine Mütze, eine Hose, ein Pullover und ein Hemd. Ein Rock „musste aus sanitären Gründen vernichtet werden“.

Berta Roser untersuchte laut Auskunft der Schwägerinnen die Kleidung und stellte Spuren von Blut fest, die einen Tod durch einen Genickschuss vermuten ließen. Das wird sich kaum mehr klären lassen.

Wilhelms und Annas Sohn Hans hat sich zeit seines Lebens nach Information und einer Verbindung zu seinem Vater gesehnt. Er hat nach dem Krieg Kontakt zu dessen Familie aufgenommen und konnte die Genealogie recherchieren. Aber als er einmal ein Bild seines Vaters in einem fotografischen Stammbaum anbringen wollte, kam es beinahe zum Bruch mit seiner Mutter. Sie hatte immer, bis zu ihrem Tod, Angst, die „Schande“ des Todes als Krimineller im KZ könne ihrem Sohn schaden.
Dieser hat – als erster Bub seines Dorfes – dank der Unterstützung des Dorfpfarrers das Abitur machen können.

In einem Brief an mich, seinen jüngsten Sohn, als ich überlegte, welche berufliche Richtung ich einschlagen wollte, begründete mein Vater Hans Roser seine Berufswahl „evangelischer Pfarrer“ und das Studium der „evangelischen Theologie“ mit den Worten, er habe das „verpfuschte Leben“ seines Vaters „wieder gut machen“ wollen. Er war später für zwei Perioden als Abgeordneter der CSU im Deutschen Bundestag und – mit größter Leidenschaft – im Europaparlament. Er starb 2005. Seine Sehnsucht nach irgendeiner Beziehung zu seinem Vater hat ihn nie verlassen, wie meine Mutter bestätigt. Dennoch sprach er wenig darüber. Die Unterlagen jedoch hütete er. Erst im Rahmen meiner Recherche ermöglichte mir meine Mutter den Zugang dazu. Wir kannten diese bis dato nicht.

Wir haben als Kinder (Wilhelm Roser hat, soweit bekannt ist, vier Enkel) nie mehr über unseren Großvater erfahren, als dass er 1942 im KZ Mauthausen als „Krimineller“ gestorben sei.

Als ich nun dort war, habe ich auf eine sehr berührende und belastende Weise gespürt, dass es eine Verbindung gibt. Obwohl ich schon an zahlreichen anderen Gedenkstätten war, ging es mir nun in Mauthausen plötzlich an meine eigene Seele. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich als Homosexueller ein offenes Leben führe und „verpartnert“ bin. Im Nationalsozialismus wäre ich sicher selbst inhaftiert worden. Dass eine Fantasie in meiner Vorstellung in diese Richtung geht, mein Großvater also möglicherweise als „175er“ inhaftiert wurde, aber nach Mauthausen als Krimineller verlegt wurde, geht mir nah. Die Recherche hat mir allerdings deutlich gemacht, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass die „Karriere“ als Kleinkrimineller, die vor Anbruch der nationalsozialistischen Herrschaft begonnen hatte, wohl unumkehrbar war – und mein Großvater dem nicht mehr entrinnen konnte. Die Hinweise, er habe Spottverse auf Hitler verbreitet, mögen stimmen – oder mögen dem verständlichen Wunsch entspringen, das jämmerliche Ende könne irgendetwas Heldenhaftes an sich haben.

Egal wie, die Vorstellung, wie es dem jungen Mann ergangen sein muss, der nichts mehr hatte außer vier Kleidungsstücken, einem „verpfuschten Leben“ – und einem Sohn, den er niemals sehen durfte –, als er in Mauthausen/Steyr zur Zwangsarbeit gezwungen war, macht mich in der Seele traurig.

Es ist gnadenlos für immer.

 

Traugott Roser

Traugott Roser, geb. 1964, ist der Enkel von Wilhelm Roser und an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster als Professor für Praktische Theologie tätig. Verpartnert mit Daniel Roser-Lüthi. Drei ältere Brüder: Philipp, Manfred, Otto (†).          

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