Hermann Albrecht 1897 - 1941

Geboren 13.9.1897 in Tiengen
Gestorben 21.8.1941 in Hartheim

Biografie

 Hermann Albrecht – Ein Opfer des Nationalsozialismus

Ein Treuebruch verbunden mit einem finanziellen Verlust führte in eine menschliche Tragödie, die in der Katastrophe endete.  

Hermann Albrecht wurde am 13. September 1897 in Tiengen am Oberrhein als viertes Kind des Blechner- und Installateurmeisters Goswin Albrecht und dessen Gattin Katharina, geb. Griesser, geboren. Als Hermann neun Jahre alt war, starb seine leibliche Mutter. Vater Goswin holte zur Erziehung seiner fünf Kinder Luise Julie Albrecht ins Haus, die er im Jahr 1911 heiratete. Hermann besuchte in Tiengen die Volksschule und die Realschule. Bei seinem Onkel absolvierte er in Freiburg i. Br. bei der Eisenhandlung Schafferer & Albrecht eine kaufmännische Lehre. Im Jahr 1913 ging er zunächst als Einjährig-Freiwilliger zum Militär. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 rückte er in die 10. Batterie Fußartillerie ein. Im Herbst 1916 wurde er zum Leutnant und 1918 zum Batterieführer ernannt. Nach Kriegsende kehrte er zunächst nach Tiengen zurück, um sich im Geschäft seines Vaters als kaufmännischer Angestellter zu betätigen. Im Jahr 1920 wurde er Reisevertreter bei der Maschinenfabrik Becker in Stuttgart. Seine Reisetätigkeit führte ihn auch ins Ausland bis nach Rumänien. Nach dem Konkurs seines Arbeitgebers kehrte Hermann Albrecht Ende 1925 ins Geschäft seines Vaters nach Tiengen zurück. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1931 blieb Hermann kaufmännischer Angestellter bei seinem Bruder Leo.

Die Furcht des Bürgertums vor einer Ausbreitung des bolschewistischen Kommunismus trieb Hermann Albrecht wohl dazu, im Jahr 1920 in die Brigade Ehrhardt einzutreten – ein rechtsextremes Freicorps. An militärischen Aktionen will er aber nicht teilgenommen haben. Vielleicht zum eigenen Schutz ist er am 5. November 1933 Mitglied der Sturmabteilung (SA), eine Gliederung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), geworden. Schon 1937 will er alle Aktivitäten in der SA aufgegeben haben, weil er von den SA-Kameraden wegen der früheren Angehörigkeit seines Vaters zur katholischen Zentrumspartei verhöhnt worden sei. 

Nach seiner Rückkehr nach Tiengen Ende 1925 hat sich Hermann Albrecht in die aus Ludwigshafen am Rhein stammende Ella Jöhl verliebt, die im Hotel „Krone“ in Tiengen (jetzt Drogeriemarkt Müller) als Servierdame arbeitete. Bald wurde Verlobung gefeiert. Unter dem Vorwand, ein Geschäft eröffnen zu wollen, erbat sich Ella Jöhl von ihrem Bräutigam einen größeren Geldbetrag. Der verliebte Hermann Albrecht kam dieser Bitte im Jahr 1930 nach, ohne zu wissen, dass seine Braut schon im Jahr 1929 ein Verhältnis mit dem damaligen verheirateten Gemeindeammann (Bürgermeister) der Schweizer Nachbargemeinde Zurzach Tierarzt Martin Keusch eingegangen war. Ella Jöhl übergab das Geld dem in Nöten steckenden Martin Keusch angeblich zur sicheren Anlage in der Schweiz. Dieser sollte später der Ella Jöhl auf Verlangen das Geld in Raten von monatlich 100 Reichsmark zurückzahlen. Dies alles konnte Hermann Albrecht nicht lange verborgen bleiben; um Braut und Geld betrogen sann er auf Rache. Der Schweizerische Bundesrat sollte ihm dabei zu Hilfe kommen mit dem Bundesbeschluss betr. Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft vom 21. Juni 1935, der in der Schweiz „Spitzelgesetz“ genannt wurde.

Am 7. Februar 1935 war in einem Hotel in Berlin der Zurzacher Bauunternehmer Carl Mallaun verhaftet und in das Waldshuter Gefängnis verbracht worden. Es ging um zweifelhafte Devisengeschäfte. Der Verhaftung vorausgegangen war eine Denunziation, die aus Zurzach gekommen war. In Verdacht gerieten Gemeindeammann Martin Keusch, und der mit ihm befreundete Zurzacher Fürsprech (Rechtsanwalt) Dr. Werner Ursprung. Beide waren glühende Anhänger des deutschen Nationalsozialismus. Nachdem Carl Mallaun weder einem Verhör unterzogen, noch vor Gericht gestellt worden war, nutzte er am 4. August 1935 eine Gelegenheit zur Flucht aus dem Gefängnis und zur Rückkehr in die Schweiz über die „grüne Grenze“. Die deutsche Geheime Staatspolizei (Gestapo) hatte großes Interesse, den entwichenen Carl Mallaun wieder einzufangen. Dazu spann sie Ella Jöhl als Lockvogel ein, die inzwischen Arbeit und Wohnsitz in Meersburg am Bodensee gefunden hatte. Auch Martin Keusch zeigte an einer erneuten Verhaftung von Mallaun Interesse. Doch mehrere Versuche, Mallaun auf deutschen Boden zu locken, scheiterten an dessen Vorsicht.
Hermann Albrecht hat indessen in Carl Mallaun einen Verbündeten gefunden: Beide waren interessiert, Martin Keusch und auch Dr. Werner Ursprung des Verstoßes gegen das Spitzelgesetz zu überführen. Es begann eine gegenseitige Verfolgung, bei der sich Martin Keusch und Dr. Werner Ursprung – vereint mit dem befreundeten Nazi-Bürgermeister von Tiengen Wilhelm Gutmann – als die Stärkeren erweisen sollten.
Schon Anfang Juli 1937 sollte Hermann Albrecht der Reisepass entzogen werden. Albrecht verweigerte die Herausgabe und fand im Waldshuter Regierungsrat Dr. Boos einen Unterstützer: Dr. Boos beließ ihm den Pass. Albrechts Begleiter und Auto-Besitzer Schneidermeister Gerhard Brosius hingegen hat seinen Pass abgegeben.
Anfang März 1938 fanden auf Veranlassung der Schweizerischen Bundesanwaltschaft bei Martin Keusch und Dr. Werner Ursprung Hausdurchsuchungen statt. Während sich Dr. Ursprung herausreden konnte, wurde Martin Keusch am 30. März 1939 in einem Strafprozess vor das Bezirksgericht Muri im Kanton Aargau gestellt. Die Mehrzahl der Richter hielten die Anklage wegen eines Verstoßes gegen das Spitzel-gesetz für nicht stichhaltig. Martin Keusch wurde aber wegen kleinerer Vergehen zu drei Wochen Gefängnis verurteilt. Schon im März 1938 hatte Keusch nach der Hausdurchsuchung unter dem Druck der Presse sein Amt des Gemeindeammanns niedergelegt. Im selben Prozess erhielt Ella Jöhl in Abwesenheit wegen des Versuchs der Entführung eines Schweizerbürgers eine Strafe von vier Monaten Zuchthaus. Nach der Urteilsverkündung am 24. Juni 1939 schrieb die Neue Zürcher Zeitung, Martin Keusch hätte nur deshalb nicht weitergehend verurteilt werden können, da wichtige deutsche Zeugen gefehlt hätten. Diese seien von den deutschen Behörden am Erscheinen zum Prozesstag in Muri gehindert worden. Nach dem vorhandenen Archivmaterial können diese deutschen Zeugen nur ein Tiengener Ehepaar, bei dem Ella Jöhl zeitweise gewohnt hatte, und Hermann Albrecht gewesen sein.

Am 5. Juni 1939 wurde Hermann Albrecht gegen 23 Uhr von der Gestapo abgeholt und in das Gerichtsgefängnis Waldshut gebracht. Schon am Folgetag wurde er gegen 21 Uhr wieder entlassen. Am 14. Juli – also 37 Tage später – erschien die Gestapo wieder in der Hauptstraße 83; dieses Mal sollte Hermann Albrecht niemals wieder nach Hause zurückkehren. Vom 21. bis zum 24. November 1939 wurde er in Stuttgart vom Generalstaatsanwalt Otto Wagner vernommen. Wagner fand keinen Grund zur Anklage; er stellte das Verfahren ein. Für die Gestapo war dies aber kein Grund, Hermann Albrecht frei zu lassen. Am 30. November wurde er ins Gestapo-Gefängnis Welzheim gebracht. Während man ihm die baldige Entlassung in Aussicht stellte, wurde ihm am 2. März 1940 ein Schutzhaftbefehl unterbreitet, ausgestellt am 27. Januar 1940 von Reinhard Heydrich, dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes. Wie Hermann Albrecht in einem Brief vom 17. März 1940 aus Welzheim an seine Schwester Anna Hilpert schrieb, hatte die Gestapo ihm vorgeworfen, er habe im Ausland (der Schweiz) das Deutsche Reich verächtlich gemacht und in Wirtschaften mit ganzen Bündeln von Papiergeld hantiert. Außerdem habe er den Fürsprech Dr. Werner Ursprung verfolgt. Um Ersteres zu widerlegen, konnte Albrecht zwei Zeugen anführen, den Schneidermeister Brosius und Konrad Schmidt, die ihn auf seinen Touren nach Zurzach stets begleitet hatten. Letzteres, die Verfolgung von Dr. Ursprung, sei Sache der Schweizer Polizei gewesen. Den Dr. Werner Ursprung – und man muss hinzufügen, auch und insbesondere den Gemeindeammann Martin Keusch – hat er nun tatsächlich verfolgt. Zahlreiche Gespräche mit dem Polizeikommandanten des Kantons Aargau Oberst Oskar Zumbrunn belegen dies, der seinerseits an der Verfolgung der beiden großen Diensteifer an den Tag legte.

Am 4. Mai 1940 wurde Hermann Albrecht ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Vom 23. bis zum 26. Juli 1940 verbüßte er dort in völliger Dunkelheit und bei weitgehendem Essensentzug einen Kommandanturarrest. Albrechts Persönlichkeit sollte gebrochen werden. Am 10. März 1941 wurde er ins Nebenlager Gusen I des Konzentrationslagers Mauthausen verbracht. Dieses Schicksal teilten mit ihm 149 „Steinmetz-lehrlinge“. So verniedlichten die SS-Schergen die unmenschliche Arbeit in den Steinbrüchen in Gusen. „Vernichtung durch Arbeit“ war angesagt. Die Ernährung war völlig unzureichend und schlecht. So war Hermann Albrecht zwangsläufig schon nach kurzer Zeit „Häftlings-Invalide“ – in den Augen der SS ein „unnützer Esser“. Für solche Fälle hat Heinrich Himmler im April 1941 die „Aktion 14 f 13“ angeordnet. Wie schon zuvor Geisteskranke und Behinderte galten auch die „Häftlings-Invaliden“ als „unwertes Leben“. Für den 21. August 1941 wurde eine Liste mit 80 „Häftlings-Invaliden“ zur Überstellung nach dem „K.L. Dachau“ zusammengestellt. An erster Stelle stand der Name Hermann Albrecht, Geb-Datum: 13.9.97, Geb-Ort: Tiengen, Hftl-Nr.: 11006, National. Deutsch, Einweis. Stelle: Karlsruhe. Der Transport sollte in Dachau nie ankommen. „K.L. Dachau“ war ein Tarnname für das Schloss Hartheim, 20 Kilometer westlich von Linz in Oberösterreich. Dort wartete die Gaskammer auf Hermann Albrecht und seine 79 Schicksalsgenossen.

Hermann Albrecht mag im Sinne deutscher Gesetze gefehlt haben. Die Einstellung des ordentlichen Verfahrens durch den Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Stuttgart scheint aber zu beweisen, dass es zur Eröffnung eines Gerichtsprozesses gegen ihn nicht gereicht hat. Einem Richter wurde er nie vorgeführt, und er hatte auch nie einen Schutz durch einen Verteidiger. So erlitt er den Tod durch einen Staatsmord, begangen von allzu vielen willfährigen Helfern des nationalsozialistischen Unrechtsystems.

 

Herbert Albrecht, Buchen

Position im Raum