Albert Offenhäuser 1900 - 1940

Geboren 29.9.1900 in Baden-Baden
Gestorben 9.8.1940 in Mauthausen

Biografie

Die Dokumente und Informationen, die wir zu unserem Großvater Albert Offenhäuser noch auftreiben konnten, kann man auf den ersten Blick auf verschiedene Weise interpretieren: Kriminelle Karriere oder politischer Widerstand. Setzt man aber die Daten, die aus den Dokumenten hervorgehen, in Zusammenhang mit zeitgleichen gesellschaftlichen Ereignissen in Deutschland, ergibt sich eher das Bild eines kommunistischen Widerstandkämpfers. Dafür spricht auch, dass er im KZ Mauthausen als politischer Gefangener geführt wurde.

Die Ehe unserer Großeltern, aus der wir stammen, wurde laut Standesamt Lautenbach am 29. Juli 1929 in Lautenbach geschieden. Ich konnte leider nicht klären, wann und warum mein Großvater in die Schweiz zog. Es ist aber sicher, dass er am 30. August 1930 aus Berneck bei St. Gallen nach Konstanz zog und dort im selben Jahr Maria Schneider heiratete, die aus Berneck stammte. Das genaue Heiratsdatum ist nicht bekannt. Sie war wohl die Mutter unserer Tante Rosemarie, die 1931 geboren wurde. Auffällig ist, dass er noch im selben Jahr 1930 (also innerhalb weniger Monate) mehrmals innerhalb von Konstanz umzog. Die zweite Ehe wurde am 30. März 1932 in Konstanz geschieden. Im Jahr darauf kamen die Nationalsozialisten an die Macht und der Raum Konstanz wurde aufgrund seiner Nähe zur Schweiz zu einem wichtigen Drehkreuz für Widerständler und Flüchtlinge.

Mehrere Zeitzeugen haben unseren Großvater mit Kommunisten in Zusammenhang gebracht. Im Frühjahr 1933 gründete der kommunistische Journalist Willy Bohn aus Gotha die „Transportkolonne Otto“. Sie ließ Flugblätter mit antinationalsozialistischem Inhalt in der Schweiz drucken und schmuggelte sie über Konstanz, Bodensee und Rhein nach Deutschland. Die „Transportkolonne Otto“ geriet im Herbst 1933 ins Visier der Gestapo, ein Jahr später wurde Willy Bohn verhaftet. In diese Zeit fiel auch die Inhaftierung unseres Großvaters in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hohenasperg. Willy Bohn überlebte übrigens den Nationalsozialismus und schrieb ein Buch über seine Organisation.

In der Gefängnisakte unseres Großvaters aus seiner Haftzeit in der JVA Ludwigsburg (Hohenasperg) gibt es drei auffällige Dokumente: Ein Gesuch um Briefpapier, um an einen Gefängnisgeistlichen namens Nagengast in Würzburg sowie seiner Braut zu schreiben, und eine Karte an das Pössneker Händlerblatt (Thüringen), mit der Bitte um Zusendung einer Inseratenpreisliste, speziell Textilmarkt. Da auch seine zweite Ehe zu diesem Zeitpunkt schon geschieden war, handelte es sich bei der Braut möglicherweise um eine dritte Frau in seinem Leben, vielleicht um die in den Akten des Volksgerichtshofs (VGH) genannte Schweizerin Frey. Das erzbischöfliche Ordinariat in Würzburg identifizierte den erwähnten Geistlichen als Sebastian Nagengast und schickte mir seinen Lebenslauf. Er war nie Gefängnisgeistlicher. Über die Karte an das Pössneker Händlerblatt ergeben sich leider auch keine neuen Erkenntnisse. Sie erregte seitens der Anstaltsleitung offensichtlich Argwohn und wurde wohl auch nie abgesendet. Allerdings ist bekannt, dass damals in Pössnek ebenfalls eine kommunistische Widerstandgruppe gab. Es ist bekannt, dass es Widerständlern häufig sogar während ihrer Haft gelang, weiter ihrer Tätigkeit nachzugehen und sogar Netzwerke zu unterhalten. Selbst aus dem KZ Dachau sind solche Strukturen bekannt. Als drittes Dokument ist in der Gefängnisakte unseres Großvaters eine Postkarte (Poststempel 07.01.1936) an Hans Kretzer (ebenfalls Hohenasperg) von einer Familie Hans Alberti enthalten. Das Postkartenmotiv zeigt den Blautopf bei Ulm, was extra handschriftlich vermerkt wurde. Allerdings ist sie mit einem Poststempel aus Ludwigsburg versehen. Diese Postkarte scheint auf den ersten Blick außer einem von der JVA hinzugefügten Vermerk nichts mit Albert Offenhäuser zu tun zu haben. Möglicherweise wurde diese Postkarte in die Gefängnisakte unseres Großvaters aufgenommen, weil darin ein Personenkreis eine Rolle spielt, in dem auch er verkehrte und der verdächtig war. Der Absender der Postkarte berichtet: „Wir haben gerade am Consulat mehr Geschäfte.“ Eigentlich hätte es auch nach damaliger Rechtschreibung „Konsulat“ heißen müssen, was auf welsch-schweizer Sprachgebrauch hinweist. Damals gab es in Stuttgart ein Schweizer Konsulat, das der Spionage auf Reichsgebiet bezichtigt wurde. Ferner ist ein Hans Alberti 1932 als Sieger eines Geher-Wettbewerbs (marche athletique) gelistet. Das Schweizer Auswärtige Amt konnte nicht bestätigen, dass Hans Alberti damals Mitarbeiter des Stuttgarter Konsulats war. Es ist aber sicher, dass Hans Alberti dort keine Führungskraft war. Am 8. Jänner 1936 wurde unser Großvater aus der Haft in der JVA Ludwigsburg entlassen.

Im Frühjahr 1936 organisierte eine Widerstandgruppe in Heilbronn („Kaiser-Riegraf-Gruppe“) eine Plakataktion zur Reichstagswahl. Ein halbes Jahr später begannen die Ermittlungen des Volksgerichtshofs in Berlin gegen unseren Großvater und andere Personen wegen Vorbereitung zum Hochverrat, eine Anschuldigung, die damals immer gegen aufgeflogene oder vermutliche Widerstandskämpfer erhoben wurde. Der Sachbearbeiter war Staatsanwalt Hans Schneidenbach, die Akte kam vom Oberlandesgericht Stuttgart und sollte später dorthin zurückgeschickt werden. Schneidenbach wurde ein Jahr später Richter am Volksgerichtshof in Berlin, später Ministerialrat. Er ließ in der Angelegenheit unseres Großvaters mindestens auch in Heilbronn und Frankfurt am Main ermitteln. Die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Heilbronn umfasste auch die Staatsanwaltschaft Schwäbisch Hall, die schon damals Außenstelle von Heilbronn war. In der Akte des Volksgerichtshofs ist auch ein weiteres Verfahren erwähnt, in das unser Großvater verwickelt war und dessen Akten sich in Leipzig befanden. Die Ermittlungen des Volksgerichtshofs in Sachen Vorbereitung zum Hochverrat wurden Ende 1936 aus Mangel an Beweisen eingestellt. Während der Ermittlungen muss sich unser Großvater in Haft befunden haben, es ist aber nicht bekannt, wo. Leipzig ist nicht auszuschließen, weil dort ein Verfahren gegen ihn anhängig war. Aber auch Schwäbisch Hall ist nicht auszuschließen. Aus Heilbronn und Schwäbisch Hall sind keine weiteren Unterlagen mehr zu erwarten, weil die Akten in Heilbronn lagerten und einem Luftangriff am 4. Dezember 1944 zum Opfer fielen. In Leipzig gibt es heute aus der Vorkiegszeit keine Gerichtsakten mehr. Es konnte nicht geklärt werden, ob diese Akten überhaupt noch existieren.

Im April 1937 wurde unser Großvater im KZ Dachau inhaftiert. Als letzter Wohnsitz ist in den dort noch vorhandenen Akten Schwäbisch Hall angegeben. Er ist also nach seinem VGH-Verfahren wahrscheinlich nochmals freigekommen. Von Dachau aus wurde er vorrübergehend an einen anderen Ort gebracht. Der Grund ist nicht bekannt. Das zweite Mal wurde er definitiv in die JVA Bernau am Chiemsee überstellt. Über den Grund ist auch in diesem Fall nichts bekannt. Die JVA Bernau forderte Unterlagen von der JVA Hohenasperg an, unter anderem Ergebnisse der erbbiologischen und soziologischen Untersuchung, was aber nichts bedeuten muss und nur eine damals allgemein übliche Floskel gewesen sein mag. Im März 1939 kam er von dort zurück ins KZ Dachau. Das KZ Dachau bedeutete nicht zwangsläufig das Ende. Viele Häftlinge kamen nach einiger Zeit wieder frei, so auch nach etwa einjähriger Haft der Heidenheimer Pfarrer Alfons Mark. Er durfte sogar sein Amt wieder ausüben. Er hatte von der Kanzel herab gegen die Nazis gewettert. Nach seiner Rückkehr wurde er von Gemeindemitgliedern gefragt, was er in Dachau erlebt habe. Seine Antwort soll gewesen sein: „Wenn ich euch das sage, holen sie mich wieder und ich komme nie mehr zurück.“ Unser Großvater aber kam nicht frei. Ein halbes Jahr später wurde er von dort ins KZ Mauthausen überstellt.

Friedrich Offenhäuser

Friedrich Offenhäuser ist der Enkel von Albert Offenhäuser.

Position im Raum