Gottfried Könzgen 1886 - 1945

Geboren 3.4.1886 in Mönchengladbach
Gestorben 15.3.1945 in Mauthausen

Biografie

Die deutschen Bischöfe stellten im Mai 1995 fest, „daß zwischen dem nationalsozialistischen Unrechtssystem und der katholischen Kirche eine tiefe Kluft und eine wechselweise Ablehnung bestanden. Sie wurden zum Ursprung zahlloser Konflikte, in denen viele katholische Frauen und Männer, Laien, Priester und Ordensleute, ihren Mut und ihre Opferbereitschaft — bis hin zum Martyrium — bewiesen." Zu diesen Blutzeugen und Kämpfern für den kath. Glauben gehörte auch Gottfried Könzgen. Die Befreiung der KZ-Gefangenen am 8.5.1945, dem Tage der Kapitulation, kam für ihn zu spät; die Auflösung des KZs Mauthausen erfolgte sogar bereits am 5.5.1945. Zu diesem Zeitpunkt weilte K. schon nicht mehr unter den Lebenden: Er ist am 15.3.1945 im KZ Mauthausen gestorben. Die „Allied High Commission for Germany" in Arolsen teilte am 20.10.1953 in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten in Düsseldorf folgendes über ihn mit: „Gottfried Könzgen wurde am 21. September 1944 in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert. Als Grund der Inhaftierung wird ‚Schutzhaft roter Winkel' genannt. Am 13. Februar 1945 wurde er dem Konzentrationslager Mauthausen überstellt. Dort ist er im Sanitätslager am 15. März 1945 um 6.25 Uhr verstorben. Todesursache: Kreislaufschwäche, akuter Dickdarmkatarrh." Man kann davon ausgehen, daß der Tod in einem KZ aufgrund der Schikanen, der Mißhandlungen und unzureichenden Ernährung einen gewaltsamen Tod darstellt. Aber K. ist weder erschossen noch vergast worden, sondern an Erkrankungen infolge der Entbehrungen und Mißhandlungen im Lager verstorben. Sein Tod kann unter diesen widrigen Umständen nur als Erlösung betrachtet werden. Erst im Sommer 1946 erhielt die Familie Gewißheit über seinen Tod.

K. war ein Zeuge Jesu Christi, der Gott mehr gehorchte als den Menschen und keineswegs auf den falschen Zug sprang, um sein Leben zu retten. Ihm war bewußt geworden, daß mit dem Scheitern des Attentats auf Adolf Hit1er am 20.7.1944 auch für ihn der letzte Weg nahte. Wenige Tage nach dem mißlungenen Attentat begann die Gestapo in einer Großaktion, der „Gewitteraktion", die ehemaligen Abgeordneten aller politischen Parteien des demokratischen Spektrums zu verhaften. Am 30.8.1944 wurde auch K. verhaftet. Man vermutet, daß er wie andere Verhaftete ebenfalls hätte entlassen werden können, wenn er bereit gewesen wäre, im Interesse der Nazis tätig zu werden; er war aber unbeugsam und blieb weiterhin in Haft in Duisburg. Nach einer dreiwöchigen Inhaftierung in seiner Heimatstadt wurde er am 21.9.1944 in das KZ Sachsenhausen überführt. Seine Freilassung scheiterte trotz aller Versuche, so durch den Bischof Heinrich Wienken, den Leiter des Commissariats der Fuldaer Bischofskonferenz; er schrieb an den Duisburger Präses des Bezirksverbandes, Pfr. Theodor Klucken, der sich an ihn gewandt hatte, u.a.: „Herr Könzgen wird leider nicht entlassen werden. Er gehört zu den ganz wenigen Abgeordneten, die in ein Lager gebracht worden sind. Grund bei Herrn K. ist seine innere ablehnende Haltung, die er noch nach seiner Verhaftung zum Ausdruck gebracht hat".

K.s tiefe Religiosität wurde von vielen seiner Zeitgenossen immer wieder hervorgehoben. Im Brief an seinen Sohn Edmund vom 24.8.1944 kommt sein unerschütterlicher Glaube treffend zum Ausdruck: „Wir wollen betend die Hände erheben bis zum Ende und bedenken, daß Leid Anteilnahme am Erlösungswerk Christi ist und auch ein Mittel zur persÖnlichen Schlackenreinigung. (Dann werden wir vielleicht schon klar erkennen, daß gerade in der dunkelsten Nacht des Leidens uns am besten und schönsten die Sonne der göttlichen Liebe bestrahlt. In Römer 6, 8-11 heißt es: Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden. Wir wissen, daß Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn." Für diese Auffassung, in diesem Glauben und in dieser Gewißheit, mit Zuversicht und Gottvertrauen hat K. gelebt, hat er als Martyrer den Tod erlitten.

Sein Widerstand gegen das Naziregime ist aufs engste verknüpft mit seinem Wirken für die KAB in Duisburg und im Diözesan- und Westdeutschen Verband der KAB, mit seiner Tätigkeit als Arbeitersekretär. Über den Widerstand der kath. Kirche im Dritten Reich schrieben die deutschen Bischöfe 1995: „Die Distanz der katholischen Bevölkerung zur nationalsozialistischen Ideologie und Partei zeigte sich unübersehbar bei den entscheidenden Wahlen vor und im Jahr 1933. Auch nach der Machtergreifung blieb die Mehrzahl der katholischen Gläubigen der Ideologie des Nationalsozialismus fern. Im Festhalten am christlichen Glauben und seinen Lebensformen widerstand die Kirche den Versuchen der Gleichschaltung oder Vereinnahmung. Sie war in vielem ein Fremdkörper und Stein des Anstoßes für das nationalsozialistische System (...) Es ist nicht möglich, die große Zahl der Männer und Frauen namentlich anzuführen, die im Stillen und in der Öffentlichkeit aus christlicher Überzeugung gegen die nationalsozialistischen Machthaber tätig waren".

Zu diesen kath. Widerstandskämpfern gehörte schon früh K., der namentlich neben vielen anderen kath. Frauen und Männern der Opposition von den Bischöfen genannt wird. Er wurde am 3.4.1886 als Sohn des Webers Hermann-Joseph K. und seiner Ehefrau Barbara, geb. Arbels, in Mönchengladbach geboren. Nach dem Besuch der Volksschule in Hochneukirch bei Mönchengladbach begann er eine Lehre als Weber in einem Textilbetrieb. Hernach erwarb er die Mittlere Reife in Abendkursen und später sogar das Abitur im rheinischen Neuss. Während des Ersten Weltkriegs kämpfte er an den Fronten in Frankreich und Mazedonien, erkrankte aber an Malaria, so daß er nach Mönchengladbach zurückkehrte. Verbandspräses Dr. Otto Müller berief ihn zunächst als Arbeitersekretär in Mönchengladbach und zum 1.1.1919 nach Alt-Duisburg. Mit Beginn seiner beruflichen Tätigkeit in Duisburg war er Mitglied der dortigen Zentrumspartei. 1925 wurde er in den Provinziallandtag der Rheinprovmz und erst später, nämlich 1929, in die Stadtverordnetenversammlung in Duisburg gewählt.

Obwohl er kirchlich, beruflich und politisch sehr stark engagiert und belastet war, ließ er es sich zu keiner Zeit nehmen, als fürsorglicher Ehemann und Vater sich immer für seine Familie einzusetzen. Seine Tochter Christa weiß zu berichten: „Für alle kleinen und großen Sorgen hatte er Zeit. Unwille oder Unbeherrschtheit war etwas, was ich an ihm nicht kannte." Er war stets ein Mann, „der auch für seine Familie selbst in der unruhigen Zeit des Naziregimes ein Fels in der Brandung war.

Mit dem Jahre 1933 trat für K. eine neue Zeit mit veränderten politischen Verhältnissen ein. Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten verlor er sein Mandat im Provinziallandtag und ebenfalls in der Stadtverordnetenversammlung. Schlimmer war es für ihn, daß er in seinem Vertretungsrecht für die Interessen der Arbeiter beschnitten wurde: Verbot der Tätigkeit am Arbeitsgericht und Untersagung der Rechtsberatung. Aber selbst die Überwachung durch die Gestapo, Haus- und Bürodurchsuchungen, Schutzhaft vom 20.3. bis 5.7.1935 und Redeverbot seit dem 30.6.1938 konnten ihn nicht abhalten, seine Aufgaben zu erfüllen.

K. hatte sehr enge, wenn nicht sogar freundschaftliche Beziehungen zur Verbandsspitze der KAB in Köln: mit Dr. Otto Müller, Joseph Joos, Nikolaus Groß und Bernhard Letterhaus. Der Kölner Kreis hatte über den Jesuitenpater Delp Kontakte zum Goerdeler-Kreis und zum Kreisauer-Kreis Moltkes; außerdem bestanden Beziehungen zu Jakob Kaiser. In jedem Falle besaß Könzgen Kenntnisse über diese Widerstandsbewegung, zumindest war er aber eingeweiht. Jürgen Aretz berichtet, daß er jahrelang gegen den NS agierte, die regimekritischen Predigten des Bischofs von Galen verteilte und mit dem Goerdeler-Kreis in Verbindung stand. Von K. existiert kein eigentliches Vermächtnis. Er hat aber einen Auftrag seinem Freund Wilhelm Scholten hinterlassen. Ihm hatte er die Arbeit der KAB anvertraut und ihn gebeten, dafür zu sorgen, daß seine Arbeit und seine Opfer nicht vergebens waren. K. hatte seinen tiefen Glauben niemals aufgegeben. Alle Widerwärtigkeiten und Übergriffe der Nazis konnte er nur deshalb ertragen, weil ihm sein Glaube an Gott die Kraft verlieh. Teggers schließt seine Biographie mit folgenden Worten: „Das eigentliche Vermächtnis liegt (...) in Könzgens Lebensführung selbst. Er hat der Nachwelt in allen Bereichen ein Leben vorgelebt, das als vorbildlich und nacheifernswert gelten muß (...) [Es] sei noch einmal auf seine Religiosität, Aufrichtigkeit und Unbeugsamkeit, seine Treue zur Kirche, zur Familie, zu seiner Arbeit und zu seinen Freunden hingewiesen. Sein Mut, seine Kampfesbereitschaft, seine Hingabe an Gott und die Menschen seien hier erwähnt. Vor allem muß sein großes soziales Engagement hervorgehoben werden."

In der Todesanzeige heißt es: „Seiner hochgemuten, christlichen Gesinnung, aus der heraus er so oft zum Werkvolk gesprochen hat, ist er auch unter den schwersten Belastungen treu geblieben. Sein Bekenntnis zu Christus und seinen Dienst am deutschen Volk besiegelte er nach achtmonatigem Leidensweg am 15. März 1945 mit dem Opfertode im Konzentrationslager Mauthausen bei Linz in Österreich".

Auch der Vorstand der KAB Duisburg weist im Vorwort der Biographie von Teggers auf das Vorbild und das Vermächtnis K.s sowie auf die anderen Widerstandskämpfer hin: Er „steht hier stellvertretend für viele Freunde der christlich-sozialen Bewegung in Duisburg, die sich diesem Unrechtssystem und dem Zeitgeist mutig entgegengestellt haben (...). In diesem Bestreben sind uns Gottfried Könzgen und seine Freunde Orientierung und Vorbild". — Vielfältige Zeichen erinnern an K., insbesondere in Nordrhein-Westfalen; in Haltern im Bistum Münster existiert das „Gottfried-Könzgen-Heim", das die Kath. Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) ihm zu Ehren benannt hat; in Duisburg-Zentrum gibt es eine „Gottfried-Könzgen-Straße".

Während seines zweiten Deutschlandbesuchs im Jahre 1987 würdigte Johannes Paul II. gleich zweimal den Duisburger Arbeitersekretär. In Bottrop bezeichnete ihn der Papst am 2.5.1987 zusammen mit Nikolaus Groß und anderen als „Zeugen", die „aus der Gewißheit des Glaubens lebten, daß Christus, das Licht der Welt, stärker ist als alle Dunkelheiten, die das Leben immer wieder zu bedrohen suchen". Am gleichen Tag ehrte der Heilige Vater in Gelsenkirchen dessen „heroisches Glaubenszeugnis".

Peter Cinka

In: Helmut Moll (Hg.): Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. (Paderborn 2019), S. 224-227

Quellen:

QQ: KAB-Archiv Duisburg, Vereins- und Jubiläumsschriften, Vorlagen und Briefe K.s, Unterlagen aus den Verbänden sowie Dokumente aus dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (RW 58, 31004 u. 31045); Dohms, Nr. 34, 73; M. Teggers, Chronik der KAB Duisburg 18571945 (Duisburg 1989); Papst Johannes Paul Il, 1987, 72, 82.

Lit.: K. Bludau, Gestapo! Geheim! Widerstand und Verfolgung in Duisburg 1933—1945 = Duisburger Forschungen. Bd. 16 (Duisburg 1973); Kettelerhaus (Hrsg.), Arbeit und Opfer (Köln 2 1975); Aretz, Arbeiterbewegung; I. Buchloh, Die nationalsozialistische Machtergreifung in Duisburg = Duisburger Forschungen. Bd. 29 (Duisburg 1980); M. Peters u.a., Widerstand und Opposition in Duisburg 1939—1945 (Duisburg 1983); M. Teggers, G. K. Hrsg. vom KAB-Bezirksverband Duisburg (Duisburg 1986); Bistum Essen, 42, 55; H. Budde, Christlich-Sozial an der Ruhr. Eine Volksbewegung im Zentrum der Industrie (Köln 1988); R. Tappe — M. Tietz (Hrsg.), Tatort Duisburg 1933-1945. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus (Essen 1989) 413-418; Puvogel-Stankowski, 536; P. Cinka, Arbeitersekretär G. K. — ein Widerstandskämpfer und Märtyrer (Köln 1999).

 

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