Józef Fielek 1896 - 1940

Geboren 12.2.1896 in Michałkowice
Gestorben 23.7.1940 in Gusen

Biografie

Aus den Erinnerungen des Überlebenden Anielin Fabera, Häftling Nr. 46962:

„Festgenommen wurde ich auf Anordnung des Gemeindebürgermeisters in Łąki, im Stadtviertel Stowki, in der Wohnung meiner Eltern. Bürgermeister Kroczek, ein Abtrünniger polnischer Abstammung, arbeitete bis Ende August 1939 als Bahnbeamter in Bogumin. Der Haftbefehl wurde von drei anderen Bewohnern von Łąki unterschrieben: [von] Otto Türk, deutscher Abstammung, Eigentümer der Wassermühle in Łąki Wielke, [von] Seber, Bahnmitarbeiter, [und von] Kuczera, Bergarbeiter im Kohlebergwerk in Karwina [heute tschechisch Karviná].

Der Grund für die Festnahme wurde kurz und bündig angegeben: ‚fanatischer Pole‘. Die Nachnamen der oben genannten Personen und den Grund für [meine] Verhaftung schaffte ich während der Vernehmungen heimlich aus meinem Akt im Politbüro des Konzentrationslagers zu ergattern. Ich wurde von SS-Offizier Habenicht verhört. Stanisław Nogaj agierte als Übersetzer, früher war er Journalist in Katowice, im Konzentrationslager – Schreiber des Blocks 16.

Ich wurde unter dem Vorwand festgenommen, dass ich Waffen aufbewahrte. Die durchgeführte Durchsuchung blieb ergebnislos. Einer der Gendarmen war ein Österreicher. Das habe ich anhand seines Dialekts erkannt. Ein anderer hat schlechtes Polnisch mit tschechischem Akzent gesprochen und verwendete abwechselnd schlesische Ausdrücke und die tschechische Sprache.

Im Konzentrationslager Dachau habe ich nicht gearbeitet. Ich blieb mit anderen polnischen Häftlingen in der sogenannten Quarantäne in Block 10. Blockältester war ein Deutscher, der Gutmann hieß. Er benahm sich Polen gegenüber korrekt. Er trug ein rotes Dreieck. Er half mir bei der Behandlung des Zahnfleisches von den während der Gestapo-Verhöre in Karwina herausgeschlagenen Zähnen.

Im Konzentrationslager Gusen I arbeitete ich vom 6. Juni 1940 bis zum 7. November 1941 im Steinbruch Gusen und in Kastenhofen als Steinträger und Steinmetz. Seit dem 7. November 1941 bis September 1942 [war ich] als Schreiber beim Krematorium (‚Leichencapo‘), [tätig] d.h. als Aufseher über die Verstorbenen (allerdings war ich kein Funktionshäftling). Seit diesem Zeitpunkt war ich offiziell in einer Tischlerei beim Steinbruch Gusen I beschäftigt – und inoffiziell auf Wunsch von Wassner und Hoffman als Krematoriumsschreiber. Um meine Identität zu verschleiern, habe ich im Krematorium die Erkennungszeichen eines russischen Gefangenen getragen. Es war polnischen Häftlingen untersagt, im Krematorium zu arbeiten.

Von der gesamten Krematoriumsbelegschaft blieb ich als ein einziger Zeuge am Leben. Der einzige Zeuge der Verbrechen, über die die Gefangenen im Konzentrationslager Bescheid wussten. Das Krematorium hatte seine Geheimnisse. Alle Ermordeten mussten diese letzte Schlussetappe durchlaufen. Sie mussten dort registriert werden und [dann] wurden sie zu Rauch und Asche. Dort hat man alle Spuren der Verurteilten in gestreiften Anzügen, in ziviler Kleidung und in Uniformen verwischt. Im Krematorium in Gusen hat man auch drei Frauen verbrannt. Woher sie stammten und wie sie hießen, hat niemand gewusst und man wird es vermutlich auch nie erfahren. Ich vermute, dass sie auch weibliche Gefangene aus dem Konzentrationslager Auschwitz waren, die während des Transports ums Leben gekommen sind. Die Leichen waren entsetzlich ausgehungert, aber sie besaßen keine tätowierte Nummer, die Haare waren kurz geschnitten.

Der Kapo im Krematorium war ein Deutscher mit dem Namen Josef Schwendemann, ein Gefangener mit einem grünen Dreieck. Sein Verhältnis zu den ihm unterstellten Mitarbeitern und anderen Gefangenen verschiedener Nationalitäten war korrekt. Er war ein sexueller Perversling, der für die Nacht junge Burschen ins Krematorium brachte. Er bezahlte sie mit Essen, von dem er genug hatte. Über einen kurzen Zeitraum haben im Krematorium auch Gefangene deutscher Nationalität gearbeitet: Franz Beuth, Bruno Weidemann, Alfred Möll und Rudolf Müller. Sowohl Franz als auch Bruno gehörten zu den gefährlichsten Verbrechern. Sie waren beide Sadisten ohne jegliche Skrupel. Sie mordeten aus Spaß. Sie mordeten und quälten Häftlinge aller Nationalitäten, auch bei den Deutschen machten sie keinerlei Ausnahmen bei der Wahl ihrer Opfer. Es bereitete ihnen Freude, einem anderen Menschen Schmerzen zuzufügen. Ich habe einige Monate mit ihnen [zusammen]gearbeitet und lernte, ihre Blicke zu lesen und daraus jeden ihrer Pläne zu erkennen und jeden beabsichtigten Schlag. Franz Beuth war besonders agil. Er suchte sich ein Opfer aus, und sein Kumpel Bruno kam ins Spiel, als das Opfer durch die Schläge und Hiebe des Anführers teilweise bereits überwältigt war. Alfred Möll und Rudolf Müller sind unbekannte Gestalten. Sie engagierten sich nicht bei der sogenannten groben Arbeit. Sie waren die Verkörperung eines blinden Gehorsams. Sie scharwenzelten um die Uniformierten und genauso um die anderen Funktionshäftlinge herum. Sie wurden alle bis Ende des Jahres 1944 ausgetauscht und in andere Konzentrationslager gebracht.

Im Februar 1941 wurde ich während der Arbeit im Steinbruch schwer von einem Funktionshäftling, dem Österreicher Alwiz, geschlagen. Der Kapo Alwiz misshandelte mich knapp eine Stunde lang. Er wollte mich um jeden Preis umbringen. Ich habe noch eine ‚Erinnerung‘ daran – eine Narbe in der Größe einer Hand auf dem rechten Unterschenkel. Ich habe überlebt. Er kam am 5. Mai 1945 ums Leben. Ich habe seine Leiche neben dem Konzentrationslager Gusen II gesehen, wo er Blockältester war.

Ein geschädigtes Schienbein und allgemeine Prellungen haben mich in die Reihen der sogenannten Invaliden gebracht. Ich wurde auf die Liste der unheilbar Kranken gesetzt, und somit zum unvermeidlichen Tod durch Ersticken durch Zyklon in der kleinen Ortschaft Hartheim verurteilt. Vom Transport ins Jenseits rettete mich ein anderer Funktionshäftling aus der Krankenstation, ein Deutscher mit einem roten Dreieck, der Kommunist Sommer. Als Kapo bei der Krankenstation hat er sich beim Lagerkommandanten Chmielewski [für mich] eingesetzt. Seine Intervention hat funktioniert. Um seinen Gefallen zu erwidern, musste ich einige Bilder für seine ‚Auserwählte‘ aus dem Freudenhaus des Konzentrationslagers malen. Ich weiß, dass meine Freunde auch mit Zigaretten und anderen attraktiven Artikeln aus illegalen Transaktionen und Schmuggelaktionen für mich gezahlt haben. Das verletzte Bein meldet sich bis heute. Ich war im Lager zweimal an Typhus und Fleckfieber erkrankt. Chronische Nierenbeschwerden sind die Folge der letzten Erkrankung. Wie ich es geschafft habe, den Doktor Kiesewetter in die Irre zu führen und somit seiner Todesspritze mit Petroleum oder Phenol zu entkommen, erzähle ich in dem Abschnitt über die an Fleckfieber erkrankten Gefangenen. Das Geheimnis dieses Tricks kannte nur ein Gefangener, ein Arzt aus Poznań, Dr. Feliks Kamiński.

Ich bin möglicherweise der einzige Häftling, der handfest feststellen konnte, dass die nach Hartheim zur sogenannten Behandlung transportierten Invaliden am Tag der Hinreise liquidiert wurden. Ich nahm zur Registrierung die Urnen mit ihrer Asche bereits am nächsten Tag zurück. Ich kann mich noch heute an einige Namen erinnern: Robert Chlebik – mein Lehrer von der Grundschule, Józef Szczurek – Lehrer an einer Übungsschule beim Lehrerseminar in Cieszyn, Edward Sarmacewicz – Gerichtsvollzieher aus Włocławek (ich habe bei seiner Frau in Cieszyn als Schüler in der ul. Macierzy Szkolnej 1 gewohnt). Ich habe am Tag ihrer Abreise mit ihnen gesprochen. Sie stiegen um 5 Uhr in der Früh in einen geheimnisvollen Bus am Appellplatz. Ich durfte ihnen nichts sagen. Ich erwartete, in den nächsten Tagen an die Reihe zu kommen. Meine Lage war schlimmer. Ich wusste, dass dies unsere letzte Reise von dieser durch nationalsozialistische Grausamkeit geplagten Erde sein wird, aus dem schönen Dorf Gusen an der schönen blauen Donau. Ich glaubte allerdings wie jeder andere Mensch an etwas Außerordentliches, etwas Unbegreifbares. Ich bin nicht gefahren. Dies verdankte ich meinem Glückstern – und dieser war die Hilfe meiner Kollegen: Sommer, Karol Cofał aus Chorzów, Stanisław Nogaj aus Katowice.

Ich überlebte das Todesbad, das von dem allen Häftlingen bekannten SS-Mann Jentsch organisiert wurde. Ich schaffte es, der eiskalten Dusche zu entfliehen.

Im Leben eines Menschen gibt es Ereignisse, die durch eine so starke Tragik gekennzeichnet sind, dass man, wenn man diese selbst erlebt und mit eigenen Augen gesehen hat, die Erinnerungen daran nie wieder los wird. Irgendwo eingebrannt (angeblich in den grauen Zellen) kehren sie ungewollt manchmal mit solchen Details zurück, als ob diese [Ereignisse] gerade gestern oder sogar eben heute passiert wären.

Das Leben im Konzentrationslager Gusen I ist wie eine Filmrolle. Jedes Ereignis brannte sich wie in eine Fotoplatte ein, mit manchmal vielen feinen Details, im gesamten Spektrum an Farben und übersinnlichen Empfindungen, und sogar Wetterverhältnissen. Jedes Ereignis hat eine andere Szenerie.

Aus den Albtraumepisoden entspringen auch erfreuliche, frühlingshafte Momente voller Hoffnung auf Freiheit, auf Rückkehr in die Heimat, zu den Angehörigen, nach Polen. Getrübt sind sie nur durch dieses schmerzhafte Gefühl des entsetzlichen Hungers jener Tage, jener Monate und Jahre. Und dieser Hunger war so schmerzhaft und so entsetzlich, dass man zu einer Hyäne wurde. Nur im Lager konnte man beurteilen, wer es schaffen konnte, sich das Menschliche bis zum bitteren Ende zu bewahren. Dort zerschellten die Mythen über Menschen mit Ausbildung, kultivierte Menschen. Dort hat ein Deutscher einen Polen für eine Portion Brot umgebracht, dort starb der Sohn vor Hunger, weil sein Vater dessen Portion Brot gegessen hatte, um noch einen weiteren Tag überleben zu können.

Juli im Jahr 1940. Es ist ein schöner Sommertag. Eine leichte Brise von der Donau bringt Erleichterung für die erschöpften und mit Schweiß überströmten Gefangenen. Sie steigen in nervöser Eile den steilen Hang des Steinruchs nach oben. Am ersten oberen Ende, dem Hügel Kastenhofen, befindet sich ein großer Platz mit heruntergestürzten aufgestapelten Granitbrocken. Hier nimmt jeder der Häftlinge einen breiten Felsblock und geht hinunter in Richtung des Konzentrationslagers.

Sie gehen eilig. Sie müssen. Die Steine schieben sie nach unten. Die Steine sind schwer. Harter Granit bohrt sich schmerzhaft in die Schulter, verletzt Finger, schneidet in die Hände. Kapos hetzen sie schreiend. Sie schlagen [die Häftlinge] mit Gummischläuchen. Die entlang des Pfades verteilten Übermenschen mit automatischen Gewehren verspotten sie, lachen sie aus, beschimpfen sie vulgär. Sie wetteifern mit anspruchslosen Witzen über Polen. Jede Aussage ist mit Gossenvokabular geschmückt, ist voller Hass gegen alle und gegen alles, wer und was nicht deutsch ist. In luftige Sommerhemden mit aufgekrempelten Ärmeln gekleidet, übertrumpfen sie sich in ihrer Grausamkeit. Sie schlagen mit Ochsenziemern. Sie schlagen jeden Polen, jeden Tschechen, jeden Deutschen; treten sie und bespucken sie. Sie schlagen auf den Kopf, schneiden in die Wangen. Die Gefangenen winseln vor Schmerz, sie bluten und schwellen an. Sie fallen unter den Schlägen. Die aus den Händen fallen gelassenen Steine treffen die Beine jener, die vorn gehen. Sie sehen Chaos und Verwüstung. Die Gefangenen fallen hin, sie schreien. Die Kapos treten gegen die am Boden Liegenden. Sie treten in den Bauch, ins Gesicht, sie brechen ihnen die Rippen. Sie machen das gleiche wie die uniformierten Erschaffer der neuen Ordnung in Europa, die Erschaffer der neuen Kultur, reinrassige Erbauer des ‚Großen Dritten Reichs‘. Plötzlich...ein trockener Knall durchschneidet die Luft. Ein Schuss fällt, ein Mensch, ein Häftling fällt.

Einer der SS-Männer ging auf einen Gefangenen mit einem Davidstern zu. Mit einem süffisanten Lächeln befahl er ihm, den Stein von der Schulter herunterzunehmen. Er gab sogar vor, ihm dabei helfen zu wollen. Dann nahm er ihm sehr vorsichtig die Mütze vom Kopf. Die Mütze war mit Blut befleckt. Ohne seinen Ekel zu verbergen, warf er die Mütze zur Seite. Er befahl dem Gefangenen, diese zu holen. Und der Häftling ging sie holen. Er beugte sich nieder und war gerade dabei sie aufzuheben... Er fiel, rollte sich zusammen und rollte wie ein Stein nach unten.

Der Übermensch betätigte zu diesem Zeitpunkt den Abzug. Er zielte gut, er war nicht hungrig. Er tötete auf eine raffinierte Art und Weise; dann lächelte er. Mit Sicherheit bekam er 3 Tage Urlaub.

Ich erinnere mich genau an diese Tage. Manchmal scheint mir, dass dies nur ein Albtraum war. Aber das war die brutale Realität. Ich habe diese Steine auch getragen. Ich wurde auch von einem SS-Mann [und] von einem Kapo geschlagen. Ich berühre unfreiwillig mein Kinn. Ja, das ist eine Narbe aus jenen Tagen. Und dieser lästige Schmerz im Bein – das ist eine Erinnerung für das ganze Leben. Auch aus diesen Tagen.

Ein Gefangener kam uns Leben und rollte [den Hang] hinunter. Die anderen gehen den Pfad entlang. Sie gehen auch nach unten. Sie lassen die Steine auf einem sumpfigen Platz fallen. Der Matsch vermischt mit Tränen, menschlichem Schweiß, menschlichem Blut spritzt herum. Andere zerkleinern die Steine mit mächtigen Hämmern.

Und im Wasser kniend ordnen sie andere mit verletzten Händen. Über ihnen steht der Kapo Matucha. Ein deutscher Häftling, ein Krimineller, mit einem grünen Dreieck. Die Verkörperung von allem, was böse und unmenschlich ist. Stämmig, mit einem Gesicht wie eine Bulldogge, mit herausstehenden Wangen und Blut unterlaufenen Augen. Aus seinem zahnlosen Mund tröpfelt braune Spucke. Er kaut Tabak. Er spuckt auf den Kopf des vor ihm knienden Häftlings, eines Polens. Er lehnt sich an einen Schaufelstiel. Er flucht, was das Zeug hält, mit einer heiseren Stimme. Er verflucht alle. Er hasst das Leben. Er beugt sich nach unten. Er nimmt einen Stein in seine mit Schlamm verschmutzten Tatzen und wirft diesen auf den Gefangenen... Er hat nicht getroffen. Es fließt kein Blut. Er ergreift den Stiel und springt zu dem [Häftling], für den dieser steinerne Schlag bestimmt war, und schlägt ihn. Der Gefangene fällt in eine Pfütze. Das Wasser färbt sich mit Blut. Er tritt den Liegenden.

Eine Kette von Trägern gleitet daneben entlang. Die Steine machen klopfende Geräusche. Der Matsch spritzt herum. Die lebendige Kette bricht auseinander. Das metallische Geräusch einer an einer Stange aufgehängten Schiene kündigt den Appell an. Der Lagerälteste Kammerer schlägt mit dem Hammer auf den Stahl. Ein eleganter Herr. Die Mütze originell über die schwachsinnige Stirn gezogen. Der gestreifte Anzug maßgeschneidert, veredelt mit einem Emblem der Macht. Ein weißer Schriftzug auf schwarzem Hintergrund. Er ist groß gewachsen, beleibt, muskulös. An den Füßen trägt er glänzende Lackschuhe. In der linken Hand hält er einen Ochsenziemer. Er schlägt überlegt und bedächtig. Er rühmt sich seiner Kraft. Nach jedem Schlag wandert sein Blick umher. Er sucht die Zustimmung von seinesgleichen. Es ist schlimm, wenn der Häftling nach einem Schlag weder vor Schmerz heult noch herunterfällt. Dann verfällt er dem Wahnsinn und schlägt planlos um sich. Er tötet kaltblütig. Sein liebster Zeitvertreib ist, den Gefangenen die Zähne auszuschlagen.

Bei diesem Spiel setzt er sich auf einen Stuhl. Das Opfer steht vor ihm. [Das Opfer] hält auf seinen Befehl hin ein Handtuch mit den Zähnen. Der Lagerälteste spricht freundlich mit dem Verurteilten und spielt halbherzig mit dem herunterhängenden Handtuch. Das Opfer schweigt. Es traut sich nicht, das Handtuch fallen zu lassen. Plötzlich reißt der Metzger Kammerer gewaltsam am Handtuch. Das Handtuch fällt heraus. Die Zähne fallen auch heraus, zusammen mit Stückchen von herausgerissenem Zahnfleisch. Der Folterknecht lacht. Das Opfer schreit vor Schmerz und erstickt am eigenen Blut.

So hat er dem jüdischen Architekten Fefer aus Warszawa die Zähne herausgerissen. Anstelle eines Handtuchs musste dieser mit den Zähnen einen Gummigürtel halten. Nach vier Tagen wurde der kranke Fefer von Hans Kammerer aus Bayern mit einem Holzpflock und Tritten in den Bauch in der Nähe von Block 16 getötet.

Der Appell dauert nicht lange. Der Stand stimmt. Die Lebenden wurden genau gezählt und auch die Toten. Ein Moment an Aufmerksamkeit. ‚Umkehren – Marsch‘ zu den Blöcken. Das ist der Lieblingsbefehl im Lagerleben.

Vor jedem Block sind Kessel aufgereiht; der Speichel rinnt, sobald man sie sieht; der Magen schmerzt. Die Häftlinge stellen sich in eine Schlange. Jeder mit einer Schüssel, die er eilig aus dem Regal geholt hat. Der Blockälteste hält eine Kelle in der Hand. Ein Bein am Kesselrand angelehnt, ist er angespannt. Scheinbar war er auch einmal hungrig. Das kann er gut, andere quälen. Ein passabler Psychologe. Mit einem Grinsen nimmt er langsam das Bein herunter und verteilt zeremoniell die Portionen.

Er tut dies andächtig und klebt mit seinem gierigen Blick an jeder Portion. Er hebt die Kelle, aber gießt keine Suppe in die hingehaltene Schüssel des Gefangenen. Er ruft seinen Diener. Der Geck kommt mit einer Schüssel angelaufen. In der Schöpfkelle schwimmt ein Stück Fleisch. Das glatte Gesicht des Burschen erstrahlt in mädchenhafter Röte. Der Herr Blockälteste lächelt schmeichlerisch. Der Gefangene, der am Kessel gerade auf diese Portion gewartet hat, verdreht die Augen, so als ob er alle Kräfte dieser Welt zur Hilfe rufen wollte. Vergebens. [Er ist] zu alt.

Der Blockälteste schlägt von Zeit zu Zeit auf den geneigten Kopf. Einer der Häftlinge fällt nach einem solchen Schlag um. Auf dieser Erde wird er keine Mahlzeit mehr zu sich nehmen. Sein Schädel ist gespalten. Der Blockälteste Gruber hat so einen mir vom Namen her unbekannten Gefangenen umgebracht. Nach dem Unfall hat er weiter ruhig mit der blutigen Kelle die Suppe verteilt.

Die Häftlinge von Block 16 schlürfen schnell das übelriechende kochende Wasser. Sie beeilen sich. Sie waschen die Schüsseln mit klarem kaltem Bergwasser ab. Man muss sie nicht wirklich abwaschen. Fast jeder von ihnen hat die Schüssel abgeschleckt. Hunger ist ein grässliches Gefühl. Trübes Wasser fällt in Holztröge, und von dort fließt es in einen schmutzigen Teich mit einer Tiefe von ungefähr 2 Metern. Die Grube werden zu späterer Stunde Häftlinge jüdischer Herkunft leeren, die sogenannte Strafkompanie. Der Teich ist von einem Wall aus Lehm mit einer Höhe von rund 30 cm umgeben. Einer der Gefangenen stolpert über den Wall, als er zurückgeht, und fällt in das schmutzige Wasser. Der Blockälteste der 15. Baracke sieht das. Wie ein Panther springt er aus dem Fenster und ist sofort über dem Opfer. Er heult vor Freude. Jetzt erlaubt er dem Häftling nicht mehr, aus dem Wasser aufzustehen. Dieser versucht alles, um sich hochzurappeln. Er versucht es an einer Seite, dann an einer anderen Seite. Vergebens. Schnell versammelt sich eine erlesene Gesellschaft um den Tümpel herum. Nur die mit den grünen Kennzeichen. Sie laufen zusammen wie hungrige Geier. Die Vorstellung erregt sie. Es sind der Stationsaufseher Handlos, der tschechische Kapo Aleks, der Kapo Wochning, und auch Weidemann und Franz Beuth. Nur ein Blockältester, ein Österreicher, der Kokesch, möchte den Ertrinkenden retten. Die anderen erlauben es nicht. Er geht machtlos weg. Er scheint aber nicht betrübt zu sein. Der Gefangene, bis zum Hals im kalten Wasser, fleht um Gnade. Keiner der über ihm Stehenden kennt Gnade. Er glaubt, weil er noch wie ein Mensch denkt. Hin und wieder schreit er, er ruft um Hilfe. Er lächelt sogar. Dann schweift sein verstörter Blick umher und er winselt um sein Leben. Er ahnt es, das Entsetzen wirft ihn hin und her. Er versucht, mit der Hand am Wall Halt zu finden. Er streckt seine Hand aus. Sofort wird sie von jemandem mit dem Absatz zerquetscht. Man hört das Knirschen der gebrochenen Finger. Der Gefangene heult vor Schmerzen, stöhnt. Die Entarteten lachen und schreien ihm zu, er solle untertauchen. Das Opfer spricht Deutsch. Er taucht für einen Augenblick unter, taucht wieder auf, öffnet die Augen und schaut sich neugierig um. Er schnappt nach Luft. Er macht sich eindeutig etwas vor. Dann schlägt ihm jemand mit einem Holzknüppel auf den Kopf. Die Haut auf dem Schädel platzt, Blut fließt ihm über das Gesicht, tropft aus der Nase und fließt seitlich in die Mundwinkel. Ein schauderhafter und zugleich schockierender Anblick.

Schick und erhobenen Hauptes erscheint am Ufer Franz Beuth (zu diesem Zeitpunkt kannte ich seinen Namen noch nicht). In der Hand hält er einen leeren Marmeladenkübel. Ein schöner, reiner Blechkübel, der in den Strahlen der Mittagssonne glänzt. Und der Griff aus Draht glänzt auch. Er beugt sich über den Blutenden und stülpt andächtig den Kübel über dessen Kopf. Er drückt von oben und nimmt zur Hilfe ein Brett dazu. Er legt das Brett auf den Boden [des umgedrehten Kübels] und steht triumphierend darauf. Das Brett biegt sich, der Kübel geht unter, es gluckert. Allerdings man sieht kein Blut. Luftblasen springen aus dem getrübten Wasserspiegel und zerplatzen. Sie erinnern mich an die Seifenblasen, die ich als Kind mit Seifenwasser geblasen habe. Der Kübel zittert. Er kippt von einer Seite zur anderen. Das Brett gibt nicht nach. Es versinkt unter der Wasseroberfläche. Noch ein paar Blasen...

So kam Józef Fielek ums Leben, der Lehrer an der Übungsschule beim Lehrerseminar in Cieszyn.“


Anielin Fabera

 

Quelle:

Anielin Fabera: Kalendarz Górniczy Kopalni “Ziemowit” (Bergbaukalender des Bergwerks „Ziemowit“), unter der Redaktion von Alojzy Lysko (1986) (http://www.gusen.org.pl/index.php?option=com_content&task=view&id=71&Itemid=81&limit=1&limitstart=1)

Literatur:

Jerzy Klistała: Martyrologium mieszkańców Zaolzia, Tom I. słownik biograficzny [Martyrologium der Einwohner von Zaolzie, Band I. Biographisches Wörterbuch] (2012).

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