Jean Lavigne 1922 - 1943 Bearbeiten
Geboren 28.10.1922 in Frouard
Gestorben 26.9.1943 in Wiener Neustadt
Biografie
Die Erzählung über die letzten Tage von Jean Lavigne im Außenlager von Wiener Neustadt stammt von seinem Kameraden aus der Deportation, René Mangin. Beide hatten das Pech, sich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort zu befinden. Sie wurden Opfer der Razzia am 2. März 1943 in Nancy, Lothringen.
Jean Lavigne – von Nancy nach Wiener Neustadt
„Im Jahre 1943 führte die kollaborierende Regierung von Petain auf Wunsch der nationalsozialistischen Besatzer die Arbeitsdienstpflicht in Deutschland (STO) ein. Zuerst traf diese Arbeitsdienstpflicht in Deutschland nur junge Männer, die in den Jahren 1920, 1921 und 1922 geboren waren.
Am 2. März 1943 wurden alle jungen Männer zwischen 20 und 22 Jahren aus Nancy und Umgebung aufgefordert, sich im Gemeindeamt von Nancy einer obligatorischen Gesundenuntersuchung vor der Abreise zur STO zu unterziehen. Diese Untersuchung fand unter den gleichen Bedingungen wie die Gesundenuntersuchung vor dem Militärdienst statt. Im Frankreich der Vorkriegszeit war dieser Arztbesuch ein wichtiger Schritt, der für Generationen den Übergang von Buben in das Erwachsenenleben bedeutete und daher mit einer Vielzahl von Festlichkeiten verbunden war.
Nach der Aufhebung der Wehrpflicht seit der Niederlage der französischen Armee im Jahre 1940 waren diese Gesundenuntersuchungen schon vor drei Jahren abgeschafft worden, und so gab es viele einberufene junge Männer, die glaubten, an diese Tradition wieder anknüpfen zu können und dass die Feste, die mit der Einberufung der Jugendlichen einhergingen, wieder stattfinden würden.
Am 2. März 1943 warteten viele Jugendliche in zahlreichen Bars in der Innenstadt auf ihr Antreten vor der Gesundheitskommission, als die Gestapo völlig unerwartet eine Massenverhaftung der jungen Männer auf den Straßen und in den Lokalen vornahm.
Nach seinen Aufenthalten in den Gefängnissen und Gefangenenlagern in Frankreich, in Nancy, in Ecrouves und in Compiègne, kam Jean Lavigne am 22. April 1943 in Mauthausen an. Er gehörte zu dem Transport von 997 Männern, die im Rahmen der Operation „Meerschaum“ deportiert wurden. Unter der Häftlingsnummer 28239 war er mit 814 anderen Franzosen dem Außenlager Wiener Neustadt zugeteilt. Er arbeitete am Aufbau des riesigen Hangars der „Serbenhalle“, der für die Produktion von Raketen bestimmt war. Er starb am 26. September 1943. Während das Lager in Betrieb war, kamen 25 Gefangene verschiedenster Nationalitäten zwischen 20. Juni 1943 und 20. November 1943 in Wiener Neustadt ums Leben. Jean Lavigne, der als Bürokraft angestellt war, war der jüngste von 19 Franzosen, die in Wiener Neustadt verstarben. Er starb im Alter von 20 Jahren.“
René Mangin, Zeuge der Deportation nach Mauthausen und dessen Außenlager
René Mangin, der ebenfalls bei der Razzia am 2. März 1943 in Nancy festgenommen worden war, kam im selben Transport nach Mauthausen. Unter der Häftlingsnummer 28303 registriert, überlebte er die Außenlager Wiener Neustadt, Redl-Zipf, Gusen und das Revier im Stammlager Mauthausen.
Nach seiner Rückkehr aus der Deportation und noch viele Jahre danach wollte er nicht darüber sprechen: „Hätten wir es erzählt, hätten uns die Leute für verrückt erklärt!“ 50 Jahre später begleitete er Schulklassen in die Lager von Mauthausen und berichtete in seinen Memoiren Rotes Dreieck, aus denen die Erzählungen über die letzten Tage von Jean Lavigne stammen, von seiner Deportation. René Mangin starb im Jahre 2002 in Nancy. Im Alter sprach er oft von Jean Lavigne.
Am 28. Oktober 2014, 71 Jahre nach dem Tod von Jean Lavigne, betraten mehrere Dutzend österreichische AktivistInnen und französische Mitglieder der Amicale de Mauthausen zum ersten Mal die „Serbenhalle“, die von Jean Lavigne, René Mangin und ihren Lagerkameraden im Außenlager Wiener Neustadt errichtet worden war. Am Ort des Martyriums von Jean Lavigne wurde zum ersten Mal der folgende, von René Mangin verfasste Text über seinen Freund der Öffentlichkeit vorgelesen.
Die Schilderung von René Mangin über den Tod von Jean Lavinge
„Jeden Abend begab ich mich in den Schlafsaal der Krankenstation, um meinen Kameraden, den ich im Gefängnis von Nancy kennengelernt hatte, zu besuchen. Jean Lavigne litt unter einer Meningitis, aber die medizinische Versorgung war eher notdürftig und Medikamente waren eine Seltenheit. Er war extrem abgemagert, er wog vielleicht zwischen 25 und 30 Kilo. Ich munterte ihn auf. Wir sprachen über Frankreich, die Familie und über die Hoffnung, ‚da wieder herauszukommen‘. Er selbst sagte zu mir: ‚Alles ist gut, mein alter Mangin, zu Weihnachten sind wir wieder zu Hause.‘ Es war erst 1943, wir trennten uns mit einem kläglichen Lächeln. Ich tat dies bis zu dem Tag, an dem…
Gegen Mittag, von der Arbeit kommend, stand ich in der Reihe vor dem Block und wartete auf meine Suppe. Vier Gefangene kamen an uns vorbei, sie trugen einen Sarg aus weißem Tannenholz. Ich sah zu und hörte eine Stimme in meiner Nähe: ‚Das ist der kleine Lavigne.‘ Ich war erschüttert, die Tränen stiegen mir in die Augen. Es war mein Freund. Meine Suppe konnte ich an diesem Tag niemals hinunterschlucken…“
René Mangin
Auszug aus: Das Rote Dreieck von René Mangin, abrufbar unter http://renemangin54.over-blog.com
Patrice Lafaurie
Patrice Lafaurie ist der Stiefsohn von Jean Gavard, der seit Ende 1940 französischer Freiheitskämpfer im besetzen Frankreich war. Jean Gavard wurde im Juni 1942 verhaftet und am 27. März 1943 nach Mauthausen deportiert; er ist Überlebender des KZ Gusen und lebt 2016 in Paris. Patrice Lafaurie ist Leitungsmitglied der Amicale des déportés, familles et amis de Mauthausen, Frankreich.
Aus dem Französischen von Andrea Peyrou