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Berthold Kreider Bearbeiten

Geboren 9.4.1901 in Marpingen
Gestorben 1945 in Linz

Biografie

Berthold wurde in Marpingen am 9. April 1901 als siebtes Kind von acht geboren, davon sechs Brüder und eine Schwester. Die Eltern waren Kreider Peter, von Beruf Bergmann und Maria, geb. Kreuz. Zwei Brüder der Mutter waren wegen der ärmlichen Verhältnisse nach Pittsburgh in Amerika ausgewandert. Berthold wuchs in der Zeit des Ersten Weltkrieges auf und zu der anschließenden schlechten Versorgungslage kamen nach Kriegsende noch eine schwere Wirtschaftskrise und eine galoppierende Inflation hinzu.
Der Versailler Vertrag (10. Januar 1920) spricht Frankreich die Saargruben zu und unterstellt das zugehörige Arbeiterwohngebiet einer Regierungskommission des Völkerbundes.

„Als Berthold noch ein kleiner Junge war, wollte ihn ein Lehrer in der Schule züchtigen, aber Berthold sprang schnell auf die Fensterbank an einem geöffneten Fenster und kletterte an einem Regenfallrohr nach unten und flüchtete so vor dem Zorn des Lehrers.“

21. Januar 1922: Berthold heiratet Paulina Recktenwald. Da beide am gleichen Tag geboren waren, meinte der Standesbeamte, „dies müsse das ideale Paar sein und dass die Ehe besonders glücklich werden würde“.

Berthold der auf der Grube gearbeitet hatte und dort diese Anstellung verloren hatte, brachte seiner Frau Paulina dennoch an jedem Monatsende seinen Arbeitslohn und tat so, als sei er noch immer angestellt. Der Schwindel flog erst auf, als ein Nachbar die kostenlosen Kohlen, die jedem Bergarbeiter zustanden, für Bertholds Schwiegervater mitbringen wollte. Arbeitslos, perspektivlos hat Berthold wohl den Boden unter den Füßen verloren.

30. Mai 1922: Berthold verlässt Paulina, Abbruch des Kontakts, sorgt nicht für den Unterhalt. Im Anschluss wegen Einbruchdiebstahl von der Staatsanwaltschaft steckbrieflich gesucht.

15. Juni 1922: Geburt der Tochter Martha, knapp fünf Monate nach der Hochzeit.

Ab dem 8. Mai 1923 begann Pauline eine Hebammenausbildung in Elberfeld (Ruhrgebiet) und Martha kam in den Haushalt ihrer Großeltern. Ihren Vater sah sie insgesamt nur zweimal.
Nach Abschluss ihrer Ausbildung wurde Paulina zunächst Hebamme in Lebach, ab 1934 als Hebamme in Bergheim bei Köln angestellt.
Bertholds Tochter Martha besuchte 1936–1937 das Internat Limburg an der Lahn, mit Abschluss „Einjähriges“, danach absolvierte Martha ihr „Landjahr“ in einem Forsthaus. Anschließend zog Martha zu Paulina nach Bergheim und arbeitete als Sekretärin bis fast Kriegsende bei „Dornhoff und Co.“ (Rüstungsbetrieb) in Bergheim bei Köln bzw. in Köln.

Martha schämte sich ein Leben lang für ihren Vater und hatte, als sie noch in Köln war, größte Panik, dass das Schicksal ihres kriminellen Vaters, dass er in einem KZ war, bekannt werden würde.

Laut Urteil vom 18. Dezember 1922 war Berthold zu einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden, wegen Verbrechens nach § 240 Str.G.B.
Zu § 240 Str.G.B.: „Wer einem anderen widerrechtlich durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nöthigt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bis zu sechshundert Mark bestraft. Der Versuch ist strafbar.“
Der § wurde angewendet z. B. bei Streikposten, die andere von der Arbeit abhalten wollten, oder bei Widerstand gegen Polizisten. 

26. Mai 1925: Die Ehe wird geschieden, Berthold wird für den schuldigen Teil erklärt. Ohne bekannten Wohn- und Aufenthaltsort von Berthold.

1930: Letztmalig aus Haft entlassen in Saarbrücken

Anfang 1932 belegen Fotos, dass Berthold als Arbeiter am Neubau der Straße von Urexweiler nach Remmesweiler arbeitet.

13. Januar 1935: Die im Versailler Vertrag vorgesehene Volksabstimmung führt mit einem Ergebnis von über 90 Prozent zur Wiedereingliederung des Saarlandes in das unter nationalsozialistischer Herrschaft stehende Deutsche Reich.

Mündliche Überlieferungen, Ansehen bei der Bevölkerung:
„In Marpingen wurde Berthold größtenteils als eine Art ‚Schinderhannes‘ verehrt, der angeblich nur bei den Reichen einbrach und es den Armen gab. Natürlich gab es auch negative Meinungen.
Bertholds bester Freund war laut Erzählung im geheimen ‚Kommunist‘. An dessen Wohnhaus hingen eine NS-Fahne und gleichzeitig eine Kommunistische Fahne (wohl nur vor der Machtergreifung Hitlers).
Es wird berichtet, Berthold habe viel gelesen und sei daher auf die schiefe Bahn geraten. Die Arbeit als Bergmann war ihm zu anspruchslos, zumal er der Meinung war, man könne leichter an Geld kommen.
Als Berthold bereits von der Polizei gesucht wurde, wurde er von der Marpinger Bevölkerung nicht verraten. Berthold wird auch als hilfsbereit geschildert. Die Beliebtheit Bertholds wird auch dadurch belegt, dass Berthold sich ein Fußballspiel anschaute, bei dem sein Bruder Theodor mitspielte, und ihn niemand verriet, obwohl ihn die Polizei dort suchte. Ein anderes Mal soll er in einem Gasthaus mit einem Polizisten, der ihn nicht persönlich kannte, sogar Karten gespielt haben. Unter anderem sagte der Polizist: ‚Wenn ich den kriege, den werde ich über den Haufen schießen‘. Nachdem Berthold auf die Toilette gegangen war und nicht mehr zurückkam, fragte der Polizist: ‚wo bleibt denn dein Kamerad?‘. Daraufhin wurde dem Polizisten eröffnet, dass er mit dem steckbrieflich gesuchten Berthold Karten gespielt hatte.
Ein Bäcker in Marpingen legte jede Woche ein Brot auf die Fensterbank der Backstube und ließ das Fenster geöffnet, damit Berthold das Brot holen konnte, über eine Bezahlung ist nichts bekannt.“

Einbrüche Diebstähle:
Seine Schwägerin Rosi konnte Berthold nicht leiden. Rosi wollte Geld sparen, aber jedesmal kam Berthold und stahl davon. Rosi versteckte das Geld in der Wäsche, im Kopfkissen oder sonst wo, aber Berthold fand es immer. „Der kann das Geld riechen“ sagte Rosi.
In einem Marpinger Geschäft („Bude“) brach Berthold jeden Monat ein und stahl Lebensmittel, aber kein Geld. Dabei löste er die Glasscheibe aus dem Rahmen und setzte sie anschließend wieder vollständig ein und verkittete die Scheibe neu.
Der Besitzer lauerte ihm immer am fälligen Termin hinter Schachteln auf, um ihn zu überraschen, was ihm aber nie gelang.
Bei einem Einbruch in ein großes Neunkirchener Kaufhaus wurde er vom Wachdienst beim Einbruch überrascht, aber Berthold tat so, als sei er eine Schaufensterpuppe und blieb unentdeckt.

All dies endete 1936 mit der Festnahme in Idar-Oberstein.
Berthold soll bei einer Zugfahrt aufgeflogen sein, als er einen falschen Pass zeigte, der nicht zu der Uniform passte, die er trug. Da Berthold sieben Pässe mitführte, sollte er als Spion umgehend erschossen werden, woraufhin Berthold alles gestand und die Polizei zu seiner Erdhöhle führte, in der er sich lange Zeit versteckt hatte.
„Die Tunnelröhre, die zur Höhle führte, war mit einem klappbaren Deckel getarnt, auf den Berthold immer eine neue frische Tanne montierte. Die eigentliche Höhle war mit Holz vertäfelt, hatte ein selbst gebautes Radio und Licht.
Seine Umgebung beobachtete Berthold mit Hilfe eines Sichtrohres.
Nach Auskunft eines Neffen hatte Berthold sich ein Radio zusammengebaut und verbotene Sender empfangen und wurde nach seiner Verhaftung wegen des Hörens von Feindsendern in ein KZ überstellt.“

Aussage eines Zeitzeugen, Willi Schön Nov. 1986, Versteck eines Einbrechers an der Dirmingerstraße bei Tholey (1936):
„Nach der Festnahme eines Einbrechers in Idar-Oberstein (1936) entdeckte die Polizei dessen Unterschlupf, in welchem der Mann sich über 15 Jahre versteckt hielt, an der Dirmingerstraße ca. 100 Meter vor der Abzweigung nach Sotzweiler. In der Straßenböschung ist heute noch ein Graben, die ehemalige Einfahrrinne zur Höhle zu erkennen. Die Höhle war innen ca. 1,80 Meter hoch, 2,00 Meter lang und 1,50 Meter breit. Innen war die Höhle wasserdicht mit Kunstschieferplatten ausgeschlagen (bei Firma Kuhn geklaut), in einer Ecke stand eine Liege in der anderen ein Spirituskocher und Geschirr, daneben ein Tisch, auf welchem sich ein Kasten mit Stempeln und Siegeln des Landratsamtes St. Wendel befanden. Unter dem Tisch stand eine 24 Volt Lastgagenbatterie (von meinem Lastwagen bei Nacht abmontiert – Schön W.). An der Wand hing eine Jagdflinte, welche Herrn Assmussen in St Wendel abhanden gekommen war. Der Einstieg war mit sauberen, glatt gehobelten Brettern ausgeschlagen und als Abschluss diente eine alte Schublade, welche man durch Scharniere nach oben umklappen konnte. Die Schublade war mit Erde und Grünzeug gefüllt. Wenn sie geschlossen war konnte man sie überhaupt nicht sehen.“

Am 27. August 1937 wurde Berthold durch das RJM (Reichsjustizministerium) (Rheinbach) Kripo Saarbr. in das Gefängnis Birkenfeld eingewiesen.
Am 4. September 1837 wurde er von dort als Untersuchungsgefangener in die JVA Saarbrücken überstellt.
4. September 1937: Schreiben des Oberstaatsanwaltes an Polizeiverwaltung in Birkenfeld:
„Der im dortigen Gefängnis einsitzende Bergmann Berthold Kreider, geb. 9.4.1901 in Marpingen ist mittels Sammeltransport auf dem billigsten Wege in die Strafanstalt Saarbrücken zu überführen. Transportzettel liegt bei. – Vorsicht geboten!“
K.H. dem Gefängnis in Saarbrücken zur gefälligen Kenntnisnahme mit dem Ersuchen Kreider bei seiner Einlieferung als Untersuchungsgefangener aufzunehmen.
Eingangsstempel Gefängnis Saarbrücken 9. September 1937.

15. September 1937: Einlieferung in das Gefängnis Saarbrücken als Untersuchungsgefangener.
11. März 1938: Strafentscheidung, 8 Jahre Zuchthaus, 5 J. E.V. (5 Jahre Ehrverlust)
Straftat: Schwerer Diebstahl. Anzurechnende Untersuchungshaft 255 Tage 10,30 Stunden
Beginn der Straf- und Verwahrungszeit 11.3.38, 11 Uhr 30.
Ende der Straf- und Verwahrungszeit 28.6.45, 17 Uhr

28. März 1938: Vollstreckungsbehörde, St. A. Saarbrücken. 8 KLs 9/38, veranlasst Sicherungsverwahrung
6. April 1938: 1. Überführung in das Gefängnis Rheinbach
Datum Rückführung nach Saarbrücken ist unbekannt.

1. September 1939: Beginn Zweiter Weltkrieg.
2. Überführung in das Zuchthaus Rheinbach: 5. November 1941 Saarbrücken, am 10. November 1941 entlassen nach Zweibrücken, 15. November 1941 Transport nach Zweibrücken, 4. Dezember 1941, 18:30 Uhr Einlieferung in Rheinbach.

Ende 1937: Erlass zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“. Der Polizei werden fast unbegrenzte Handlungsmöglichkeiten gegen Kriminelle und „Asoziale“ eingeräumt. Außer dreifach Vorbestraften (Berthold, Häftlings-Personal-Karte KZ Mauthausen, Vorstrafen 3 w/ Diebstahl), konnte dies nun auch jeden treffen, dem die Beamten einen Willen zu weiteren Straftaten attestierten.
Gemäß einer Übergangsvorschrift konnten die Gerichte, die „Sicherungsverwahrung“ auch dann anordnen, wenn die abzuurteilende Tat vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen worden war oder gerade eine Freiheitsstrafe verbüßt wurde. Die Leiter der Strafanstalten wurden aufgefordert, einsitzende „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“ dafür vorzuschlagen.

Am 20. August 1942 übergibt Hitler Otto-Georg Thierack, dem bisherigen Präsidenten des Volksgerichtshofs, die Ernennungsurkunde zum Reichsjustizminister.
„Während des Kriegs“, führte Hitler aus, „müsse man gegen diejenigen, die sich durch Verbrechen aus der ‚Volksgemeinschaft‘ ausgeschlossen hätten, die ‚barbarischsten Mittel‘ anwenden. Das Gefängnis reiche dabei als Strafe für viele Kriminelle nicht mehr aus; denn während die ‚braven Männer‘ an der Front ihr Leben gäben, würden die Verbrecher in den Strafanstalten überleben …, man müsse ‚rücksichtslos das Geschmeiß‘ ausrotten.“
Ab September 1942 überstellte die Justiz zu „Sicherungsverwahrung“ verurteilte „Gewohnheits-Verbrecher“ dann direkt in die KZ. Die Grundlage bildete eine Vereinbarung zwischen Reichsjustizminister Otto-Georg Thierack und Heinrich Himmler über die Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur „Vernichtung durch Arbeit“.

6. Januar 1943: Anordnung zur Überführung von Berthold nach Mauthausen
18. Januar 1943: Strafanstalt Saarbrücken – Transportbücher, Transport zum KZ Mauthausen
24. Januar 1943: Ankunft in Mauthausen, Registrierung.

Berthold wurde am 24. Januar 1943 bei seiner Ankunft in Mauthausen mit der Nummer 22449 als SV DR registriert.
Nach vier Tagen (Quarantäne) am 28. Januar 1943 Überstellung nach Gusen mit der Nummer 10118 SV DR und schließlich, als alle Häftlinge des KZ Gusen in die Nummernserie des KZ Mauthausen aufgenommen wurden, mit der Nummer 50114 registriert.

Am 19. April 1943 eingesetzt als H. A. (Hilfsarbeiter) bei Rüstungsbetrieb Steyr (= Steyr-Daimler-Puch AG in Gusen I und Gusen II ). Bertholds Ausbildung als Monteur und sein ausgeübter Beruf als Bergmann waren wohl hilfreich im Überlebenskampf im KZ, da solche Personen in den Rüstungsbetrieben gebraucht wurden. 

Laut Überlieferung der Nachkommen der Schwester von Berthold habe zunächst noch Briefkontakt bestanden, der später aber abrupt abbrach, als Berthold sich bei seiner Schwester nach einem nicht erhaltenen Päckchen erkundigte.

Wo Berthold genau eingesetzt wurde, ist nicht bekannt, auch nicht wann und wo er gestorben ist, wohl nicht im KZ Gusen oder Mauthausen sondern in Linz (vermutlich in den Tagen vor oder nach der Befreiung).
Beerdigt zunächst als unbekannte Leiche auf dem Friedhof der Stadt Linz in St. Martin, Sektion 5 F.
Die Friedhofsliste mit zwölf unbekannten Leichen (mit KZ Erkennungsmarken) ist leider nicht datiert, muss aber mindestens nach dem 7./9. April 1945 erstellt worden sein, da der Häftling aus der Liste mit der No. 8 Jaskolski Jerey an diesem Datum dem Kommando Gusen zugeteilt wurde.

Keine glänzende Biografie.

In Gedenken an unseren Großvater, den wir nicht kannten und der so viel erleiden musste.

 

Erstellt von den Enkeln Alexander, Toni (Anton)

 

Quellen:

Mündliche Überlieferungen, Scheidungsurkunde, Landesarchiv Saarbrücken, ITS Bad Arolsen, MAUTHAUSEN MEMORIAL.

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