Yaakov Lev Weiss 1889 - 1945

Geboren 15.10.1889 in Poľana / Polyana
Gestorben 10.1.1945 in Melk

Biografie

Aus einem Brief von Martin Weiss, 29. Dezember 2014:

„Ich bin froh, dass Sie dieses lang vergessene und wichtige Projekt begonnen haben. Leider kann ich Ihnen keine Namen nennen, weil ich ihre Namen schon vor einiger Zeit vergessen habe. Den einzigen, über den ich Ihnen etwas erzählen kann, ist mein Vater Jakub Weiss. (Sein jüdischer Name war Yaakov Lev Weiss.) Jakub Weiss, mein Vater, lebte in Polana, in der Tschechoslowakei, und besaß ein Geschäft und einen Bauernhof. Jakub und seine Frau Golda gründeten eine Familie mit neun Kindern. In den Zeiten der Demokratie waren alle voller Hoffnung; die Familie Weiss blickte hoffnungsvoll in die Zukunft.

Im Jahr 1939 wurde unser Gebiet von den Ungarn, die mit Nazi-Deutschland alliiert waren, besetzt. Das Gebiet wurde Karpatská Rus oder Ruthenien genannt. Yaakovs Welt war für immer verloren. Die Ungarn deportierten die Familie Weiss nach Auschwitz. Seine Frau Golda und vier der Kinder verschwanden dort.

Epilog: Yaakov Weiss war ein stolzer, religiöser und ethischer Mann, und zog gute Kinder mit hoher Moral auf. Als sein Sohn kann ich bestätigen, dass wir – seine fünf Kinder, die überlebten – gute und produktive Kinder und nun auch Enkel großgezogen haben, auf die ich sehr stolz bin.

Jakob starb am 10. Jänner 1945 in Melk. Er wurde in Mauthausen verbrannt.“

 

Martin Weiss

Martin Weiss wurde 1929 in Polana, Tschechoslowakei, als Sohn von Yaakov und Golda Weiss geboren. Er wurde mit seiner Familie ins Ghetto Munkacs und von dort ins KZ Auschwitz deportiert, wo viele seiner Familienmitglieder ermordet wurden. Von Auschwitz wurde er gemeinsam mit seinem Vater nach Mauthausen und von dort ins Außenlager Melk überstellt, wo Yaakov Weiss am 10. Jänner 1945 starb.

 

Aus dem Englischen von Andreas Kranebitter  

 

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Jakob (Yaakov) Weiss wurde am 15. Oktober 1889 als Sohn von Meir und Gittel Weiss in Polena / Poleň in der damaligen Tschechoslowakei geboren. Er hatte mehrere Geschwister, darunter Salomon (geb. 1892), Zoltan (geb. 1895) und Elias (Elje) (geb. 1900).

Er heiratete Gisela (Golda) Herskovics und sie bekamen gemeinsam neun Kinder, Mendel (Emil) (geb. ~ 1915), Yitzhak (Isaac), Cilia, Ellen, Esther (geb. 1931), Hannah (geb. 1927), Moshe (Moishi) (geb. 1922), Miriam (Monica) (geb. 1933) und Martin / Marty (geb. 1929).

Jakob betrieb eine kleine Landwirtschaft zur Selbstversorgung und verkaufte Fleisch, wobei die gesamte Familie mithalf. Die Familie gehörte der jüdisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft an, die Kinder besuchten neben ihrer regulären Schulausbildung täglich eine hebräische Schule.

1939 fiel das Gebiet ihrer Heimat unter ungarische Kontrolle, was der Familie Weiss und den weiteren jüdischen Familien durch die Kooperation zwischen Ungarn und den Nationalsozialisten das Leben sehr erschwerte.

Tausende jüdische Männer – darunter auch zwei von Jakobs Söhnen – wurden in Zwangsarbeiterkommandos eingezogen und an die sowjetische Front geschickt. Zahlreiche jüdische Betriebe wurden konfisziert, Jakob konnte aber seine kleine Landwirtschaft halten und über illegalen Fleischverkauf weiter ein wenig Geld verdienen. Die Schlachtungen führte er heimlich nachts bei Kerzenlicht durch und das Fleisch verkaufte er auf dem Schwarzmarkt.

Doch die Besetzung des damalig ungarischen Gebietes durch die Nationalsozialisten im Frühjahr 1944 änderte alles für die Familie Weiss. Jakob, seine Ehefrau und sämtliche ihrer Kinder wurden mit zahlreichen weiteren jüdischen Familien, darunter auch Jakobs Brüder und deren Familien, in das Ghetto in Munkács (Munkatschewo) gesperrt.

Alle jüdischen Familien der Umgebung wurden gezwungen, sich innerhalb von zwei Tagen mit nur 50 Kilo Gepäck dort einzufinden. Die Mauer, die um das Ghetto errichtet wurde, implementierte das Verbot, dieses Ghetto zu verlassen. Die Gefangenen wurden dort einige Wochen zur Zwangsarbeit in einer Ziegelfabrik eingesetzt. Doch dann fingen die Deportationen an.

Innerhalb von drei Monaten wurden alle jüdischen Gemeinden der Umgebung ausgelöscht und alle dort lebenden jüdischen Personen wurden in nationalsozialistische Lager deportiert, die meisten in das KZ Auschwitz-Birkenau in Polen.

Dort kam Jakob mit seiner Familie am 21. Mai 1944 an. Während er, seine Söhne Marty und Moishe sowie seine Tochter Cilia an der Rampe in Birkenau zur Zwangsarbeit selektiert wurden, wurde seine Frau Golda und vier seiner Kinder sofort nach der Ankunft in der Gaskammer ermordet.

Dasselbe Schicksal ereilte auch Helene, die Frau seines Bruders Elias, Rachel, die Frau seines Bruders Salomon, und einige seiner Neffen.

Jakobs Bruder Zoltan überlebte die Inhaftierung in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und kehrte gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter nach Hause zurück.

Jakob blieb gemeinsam mit seinem Sohn Marty, seinen Brüdern Salomon und Elias und seinen Neffen Ernö (geb. 1927) und Meir kaum eine Woche in Auschwitz-Birkenau und sie wurden noch im Mai 1944 in das KZ Mauthausen deportiert. Dort wurden sie als "ungarische Juden" kategorisiert.

Bereits nach wenigen Tagen - am 2. Juni 1944 - wurden Jakob und Marty und ihre restliche verbleibende Familie mit einem Transport, der rund 460 weitere „jüdische“ Häftlinge ungarischer Nationalität umfasste, in das KZ-Außenlager Melk überstellt.

Jakob war dort als „Hilfsarbeiter“ beim Projekt „Quarz“ eingesetzt. Er musste daher unter unmenschlichen Bedingungen schwerste körperliche Arbeit beim Bau der unterirdischen Stollenanlage in den Wachberg bei Roggendorf in der Nähe von Melk leisten.

Jakobs Bruder Salomon ist im KZ Melk nicht verzeichnet worden. Es gibt daher keine weiteren Angaben zu Salomon Weiss. Von den Überlebenden der Familie Weiss wird allerdings vermutet, dass er in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager ums Leben gekommen ist.

Auch sein Neffe Meir ist in keinem Verzeichnis des KZ Melk zu finden. Elias Neffe Marty, Meirs Cousin, erinnert sich aber daran, dass Meir ebenfalls in der Stollenanlage beschäftigt war und dort einen Unfall hatte, bei dem ihm ein massives Rad von einer Maschine auf sein Bein fiel und dieses zerquetschte. Dessen Bruder Ernö, der als Assistent eines Kapos einen besseren Posten besaß, versuchte seinem Bruder Meir zu helfen und verschaffte ihm eine Arbeitsposition im Kartoffelschälerkommando in der Häftlingsküche. Leider half dies aber nichts, denn seine Wunde durch den Unfall verschlimmerte sich und Meir Weiss starb im KZ Melk.

Jakobs Bruder Elias, sein Neffe Ernö und sein Sohn Marty überlebten die Inhaftierung in diesem Lager.

Wie tausende weitere Häftlinge überlebte Jakob die Lebensbedingungen im KZ Melk und die miserablen Konditionen bei der Arbeit nicht. Jakob Weiss starb am 10. Januar 1945 im Alter von 55 Jahren. Seine offizielle Todesursache lautete „Lungenentzündung“. Die offiziellen Todesursachen verschleierten aber die wahren Hintergründe: prinzipiell kamen die meisten Häftlinge im KZ Melk wegen der katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen ums Leben.

 

Christina Kandler, Verein MERKwürdig – Zeithistorisches Zentrum Melk

 

Quellen:

USC Shoah Foundation, Visual History Archive, Interview Code 46187 vom 28.9.1998.

United States Holocaust Memorial Museum, Volunteers, Martin Weiss, online unter: https://www.ushmm.org/remember/holocaust-survivors/volunteers/martin-weiss (27.9.2022).

Internationaler Suchdienst, Arolsen Archives, Einträge für Mitglieder der Familie Weiss, online unter: https://collections.arolsen-archives.org/de/search (27.9.2022).

United States Holocaust Memorial Museum, Holocaust Survivors and Victims Database, Einträge für Mitglieder der Familie Weiss, online unter: https://www.ushmm.org/online/hsv/person_advance_search.php (27.9.2022).

Yad Vashem, Internationale Holocaust Gedenkstätte, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer, Einträge für Mitglieder der Familie Weiss, online unter: https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de (27.9.2022).

Bertrand Perz: Das Projekt „Quarz“. Der Bau einer unterirdischen Fabrik durch Häftlinge des KZ Melk für die Steyr-Daimler-Puch AG 1944–1945. Innsbruck/Wien 2014.

KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial.

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