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Jean Rozinoer 1920 - 1943 Bearbeiten

Geboren 27.6.1920 in Paris
Gestorben 29.6.1943 in Mauthausen

Biografie

Als junger Medizinstudent, noch ledig, wohnte Jean Rozinoer während des Zweiten Weltkrieges bei seinen Eltern in der Rue Vaugirard 280 im 15. Pariser Arrondissement. Am 11. Jänner 1940 nahm er an einer Studentendemonstration teil, die eine Verhaftung und eine Vorladung vor ein Pariser Strafgericht zur Folge hatten. Er wurde zu einem sechsmonatigen Freiheitsentzug verurteilt. Als Häftling des Gefängnisses La Santé wurde er am 11. April 1941 in die Polizeipräfektur überführt und nach Ende seiner Haftstrafe auf freien Fuß gesetzt.

Danach stand er als Assistenzarzt an der Spitze des Sanitätswesens der Francs-tireurs et Partisans (Freischützen und Partisanen, FTP) von Groß-Paris und organisierte in dieser Funktion die Rekrutierung von Pflegepersonal und die Einrichtung von medizinischen Lagern. Nachdem Henri Chrétien im Juli 1942 seinen Posten eingenommen hatte, begab sich Jean Rozinoer nach Seine-et-Marne, wo er wieder für das Sanitätswesen der FTP verantwortlich wurde. Gleichzeitig nahm am bewaffneten Widerstand teil.

Am 27. August 1942 wurde er von Brigadier Gaston Pautot und vom gardien de la paix (Friedenswächter) Léon Gauche festgenommen, als er mit seiner Gruppe bei den Blériot-Werken in Suresnes ankam. Sie wollten dort den Schutz einer Demonstration übernehmen, deren Ziel es war, die Arbeiter zu langsamerer Arbeit anzustiften und so die Flugzeugproduktion für die deutsche Armee zu sabotieren.

Rozinoer trug wie immer, versteckt in seiner Arzttasche, einen Revolver und eine Maschinenpistole mit sich. Aus diesem Grund nannten ihn seine Kameraden bei der FTP „Doktor Parabellum“. Bei seiner Festnahme fahndete man bereits nach ihm wegen der Ermordung zweier Polizisten und eines deutschen Soldaten, als am 11. August 1942 im Wald von Fontainebleau ein Lager der FTP aufgedeckt wurde. In den Räumlichkeiten der Spezialbrigade des Polizeipräsidiums traf er auf Paul Tillard, den man am selben Tag in Paris festgenommen hatte. Er schwieg unter Folter. Am nächsten Tag wurde er eingesperrt und am 24. September 1942 übernahmen ihn die Deutschen, erneut wurde er ins Gefängnis La Santé gebracht. Am 21. Oktober 1942 wurde er in das Fort de Romainville überführt und unter der Häftlingsnummer 1032 als Jude registriert. In dieser Festung gründeten die Häftlinge eine Untergrundorganisation, die nicht nur für Solidarität durch Aufteilung der Lebensmittelpakete sorgen, sondern auch den Ausbruch der Gefangenen vorbereiten sollte.

Mit Léon Parouty und einem gewissen Carasso wurde Jean Rozinoer von der von Norbert Cassedanne, Charly Villard, Raoul Sabourault, Poirier und an der Spitze Octave Rabaté geleiteten Untergrundorganisation beauftragt, die Fluchtmöglichkeiten auszukundschaften. Da er sich nicht in Einzelhaft befand, konnte er sich frei bewegen, und so erkundete Jean Rozinoer gewissenhaft die Festung. Am 31. Dezember 1942 fand der erste Fluchtversuch statt, bei dem Jean Rozinoer zunächst entkommen konnte, wenig später aber wieder festgenommen wurde, während Léon Parouty noch im Festungsgraben gefasst wurde.

In Romainville wurde er als „Sühneperson“ eingestuft. Seit 30. August 1942 war das Fort de Romainville einem Rundschreiben des „Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD“ (kurz: BdS) gemäß zu einer Sammelstelle für Geiseln aus dem Raum Paris geworden, unter denen Männer zur Erschießung ausgesondert werden sollten. Diese Mitteilung, unterschrieben vom Leiter der Abteilung IV (Gestapo) beim BdS in Frankreich SS-Sturmbannführer Boemelburg, wies an, dass in Romainville als „Sühnepersonen“ Registrierte im Rahmen des „Nacht-und-Nebel“-Erlasses zu deportieren wären, sobald ihre Anzahl 200 erreichte, da bei einer größeren Personenanzahl die Sicherheit der Festung gefährdet wäre. Die „Sühnepersonen“ wurden als „Nacht-und-Nebel“-Häftlinge der Gestapo übergeben, die ihre Deportation organisierte. Diese änderte den Status der „gefährlichsten Elemente“ von „Geisel“ auf „Schutzhäftling III“ und deportierte sie nach Mauthausen.

Am 1. April 1943 wurde Jean Rozinoer gemeinsam mit weiteren 55 Gefangenen im letzten der drei Transporte der „Ex-Geiseln“ abtransportiert. Er traf am 3. April 1943, nach einem Zwischenstopp in Trier, in Mauthausen ein. Im Konzentrationslager erhielt er die Häftlingsnummer 25656. Pierre Serge Choumoff, der gemeinsam mit ihm deportiert wurde, erzählt detailliert die ersten Momente der Ankunft im Lager:

Der Schreiber „hatte bemerkt, dass Tillard ‚Schreiber‘ war und hat ihn zu sich gerufen, um die eingelangten Papiere zu analysieren und um uns anhand der Transportpapiere den Blocks zuzuweisen. Normalerweise hätte das von der Schreibstube erledigt werden sollen, die danach die Papiere an den Block weitergeben sollte. Diesmal war es aber anders, er hatte die Dokumente erhalten. Tillard, der also schon seit dem Morgen da war, sprach kaum Deutsch, konnte es aber schreiben; wir trennten uns.

Zu Mittag, bei der Suppenausgabe, sahen wir uns wieder, und er sagte zu mir: ‚Ich habe deinen Namen ausradiert‘. Das hieß, dass er die Angabe ‚Jude‘ entfernt hatte. Bei Rozinoer fand sich diese Angabe aber auf dem Transportpapier oder auf seinen Ausweisen, die er bei sich trug. Was mich betrifft, war der Vermerk, den der Kommandant des Lagers vor unserer Abreise nachgetragen hatte, mit Bleistift geschrieben. Und daher hatte er ihn ausradieren können. Ich, der keine Ahnung hatte, konnte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, ob es noch andere solcher Dokumente gab.

Während der ersten Wochen und sogar während der ersten Monate dachte ich immer, dass noch andere Dokumente folgen würden. Diese sahen wir aber nicht; wir sahen gar nichts. Zwei, drei andere Kameraden wussten davon, aber der Erste, dem ich es erzählte, war Rozinoer.

Kurz nach unserer Ankunft – dem besonderem Schicksal entsprechend, das den als Juden registrierten Gefangenen zu jener Zeit bestimmt war, bevor sie über kurz oder lang ermordet wurden – kam er in den für die Juden vorgesehenen Block 5. Am 29. Juni 1943 wurde Jean Rozinoer vom SS-Mann Johann Bieleski unter der fadenscheinigen Begründung, dass er zu fliehen versucht hätte, erschossen.“

Jean Rozinoer war Mitglied der französischen Ehrenlegion; posthum wurden ihm die Medaille der Résistance und das Kriegskreuz verliehen. Er erhielt am 19. Oktober 1953 die Auszeichnung Mort pour la France (Für Frankreich gestorben) und den Titel déporté résistant (deportierter Widerstandskämpfer).

Adeline Lee

Adeline Lee, Lisieux, ist eine französische Historikerin. Für die neuen Dauerausstellungen an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen nahm sie an einem umfangreichen Forschungsprojekt nach Quellen zur Geschichte des KZ Mauthausen in französischen Archiven und Sammlungen teil. Sie ist die Autorin zahlreicher Artikel über die Deportation von Französinnen und Franzosen in das KZ-System Mauthausen.

 

Aus dem Französischen von Andrea Peyrou

 

Quellen:

Service historique de la Défense, dossier de demande de titre de déporté résistant en cours de cotation, MA 40/2, 40/3, 41/3, 42/3, 7/11, 11/3; CDJC, XLV-a46, XLVa-47, XLV-58, XLV-68.

Archives de l’Amicale de Mauthausen, pochette 451/2, document pour servir à la commission d’histoire de Mauthausen. Récit chronologique par Octave Rabaté, ancien membre du comité international de Mauthausen.

Literatur:

Thomas Fontaine: Recueil de témoignages d’anciens détenus du camp allemand du fort de Romainville, 1940–1944 (o.O. o.J).

Jean-Marc Berlière/Franck Liaigre: Liquider les traîtres. La face cachée du PCF, 1941–1943 (Paris 2007).

Thomas Fontaine: Les oubliés de Romainville, un camp allemand en France (1940–1944) (Paris 2005).

Conseil général de Seine-et-Marne, Direction des Archives départementales/Office National des Anciens Combattants et Victimes de Guerre, Commission départementale de la Mémoire (Hg.): 39–45 en Seine-et-Marne: des lieux, des hommes... (http://archives.seine-et-marne.fr/library/Memoires-documents_Deslieuxetdeshommes-pdf, Zugriff am 2.11.2015).

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