Alfred Péron 1904 - 1945 Bearbeiten
Geboren 22.9.1904 in Lyon
Gestorben 12.5.1945 in Samedan
Biografie
Die Personal-Karte des Häftlings Nr. 37801 lautet auf den Namen Alfred Péron. Alfred Péron wies keine besonderen äußeren Merkmale auf: seine Gestalt war mittel, die Nase gradlinig, das Gesicht oval. Die Haare des nicht einmal 40-Jährigen waren allerdings bereits ergraut und seine Zähne, so ist der Personal-Karte zu entnehmen, waren schlecht.
Informationen, die nicht nur das Äußere jenes Alfred Péron betreffen, finden sich in James Knowlsons breit angelegter Beckett-Biografie. Péron, der an der École normale supérieure zuerst Altphilologie, dann Anglistik studiert hatte, trat 1926 am Dubliner Trinity College eine Stelle als Austauschlektor an, wo er zum Französischlehrer von Samuel Beckett wurde.
Alfred Péron war ein eleganter, geistreicher und charmanter junger Franzose.
Zwischen Beckett und Péron entwickelte sich eine Freundschaft, die laut Knowlson zum „horizonterweiternden Bildungserlebnis“ für Beckett wurde. Péron half dem späteren Nobelpreisträger, der später einige seiner Werke auf Französisch verfasste, bei der Perfektionierung der Fremdsprache in Wort und Schrift. Im Jahr 1930 arbeiteten die beiden an der ersten französischen Übersetzung von „Anna Livia Plurabelle“, einem Abschnitt aus James Joyces Ulysses und in seinem ersten Roman, Dream of Fair to Middling Women, berief sich Beckett bei Reflexionen über französische Poesie auf seinen Freund.
Alfred Péron war umfassend belesen.
In den Jahren vor Kriegsbeginn war Péron der Mensch, der Beckett am nächsten stand. Er übersetzte gemeinsam mit Beckett unter anderem dessen Roman Murphy, jeden Dienstag gingen die beiden gemeinsam essen und danach spielten sie Tennis.
Alfred Péron war ein guter Tennisspieler.
Die Murphy-Übersetzung diente in den Kriegsjahren als glaubhaftes Argument, um regelmäßig in Becketts Wohnung zu kommen. Péron hatte Beckett für den Widerstand angeworben, beide gehörten ab 1940 der Zelle „Gloria SMH“ an. Péron brachte Beckett Informationen, die dieser abtippen und ins Englische übersetzen sollte. „Gloria SMH“ wurde verraten und Alfred Péron am 16. August 1942 in Anjou festgenommen. Er wurde nach Mauthausen deportiert.
Georges Loustaunau-Lacau schrieb zwei Berichte über seine Erfahrungen im Lager Mauthausen. Auch Alfred Péron wird darin erwähnt:
Alfred Péron war ein gutmütiger und sanfter Mensch.
Péron kannte viele Gedichte von Baudelaire und Verlaine auswendig. Es wird berichtet, wie der ausgehungerte und kraftlose Péron Gedichte vor sich hersagte. Manchmal auch seine eigenen Liebessonette.
Alfred Péron war ein exzellenter Dichter.
Seine Gedichte machten Eindruck: Ein ehemaliger Zuhälter namens Polo wurde zu seinem Beschützer und wachte über seinen „Orpheus in der Hölle“. Eines Nachts wollte der brutale Kapo namens Otto wissen, wo „der Dichter“ sei, da es im Quartier etwas zu feiern gab.
Alfred Péron überlebte die Befreiung des Lagers, starb aber am 12. Mai 1945 auf dem Weg in seine Heimat im schweizerischen Samedan.
Pérons Frau Maya kannte die Berichte von Loustaunau-Lacau. Da sie nach dem Krieg in regem Kontakt zu Samuel Beckett stand, ist anzunehmen, dass sie ihm diese zu lesen gab.
Beckett schrieb zu jener Zeit an seinem wohl berühmtesten Theaterstück, Warten auf Godot. Es ist verlockend, seinen Freund im misshandelten Lucky wiederzuerkennen, während man im sadistischen Pozzo den brutalen Kapo Otto erkennen könnte: Pozzos lyrische Anwandlungen, als er die Dämmerung beschreibt oder jene Stelle, als er die Wartenden fragt, was Lucky tun soll: „Was wollen Sie lieber? Soll er tanzen, soll er singen, soll er deklamieren, soll er denken, soll er …“ – beides entspricht dem perversen Vergnügen des Kapo Otto an literarischer Unterhaltung. Man muss an die Misshandlungen im Lager denken, liest man Pozzos Anweisung, man solle Lucky „Fußtritte geben, in den Unterleib und ins Gesicht, soviel wie möglich“.
Vielleicht dachte Beckett an seinen Freund und früheren Tennispartner, als er Luckys großen Monolog mit den Worten enden ließ: „Tennis! … Steine! … so ruhig! … Conard! … Unvollendete! …“
Ein tröstlicher Gedanke:
Alfred Pérons tragisches Los war vielleicht Inspiration für eines der bedeutendsten Theaterstücke der Nachkriegszeit.
Florian Gantner
Florian Gantner, geb. 1980, lebt als Schriftsteller in Wien. Start-Stipendium durch das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur; Theodor-Körner-Preis 2014. Weitere Informationen unter www.floriangantner.net.